Huskytraining
Journalismus

Grün, braun, weiß – die Saisonampel der Schlittenhunde

Klischee vs. Realität

Eine Meute Huskys, die im wilden Galopp durch den Schnee jagt. Musher hinter riesigen Sonnenbrillen, mit Helm und eleganten Posen auf dem Schlitten, den die energiegeladenen Hunde scheinbar mühelos in voller Geschwindigkeit ziehen. Bilder, die fast jeder kennt und die ein Jack-London-Gefühl der Freiheit mit einem Hauch von Alaska hervorrufen. Bei einem Besuch der Schlittenhundeweltmeisterin 2019 in der 6-Hunde-Klasse, Iris Mauderer und ihrem Husky-Kennel wollte Carola Güldner in Erfahrung bringen, wie der Alltag eines Rennteams vor den Wettkämpfen aussieht.

„Schon wieder 13 Grad ab 8 Uhr!“ Iris Mauderer ist enttäuscht. „Das ist viel zu warm.“ Dennoch lassen wir drei Kaffeetassen mit verschiedenen Huskymotiven halb ausgetrunken stehen: „Dann müssen wir uns eben ranhalten.“

Ohrstöpsel, reißfeste Klamotten, Gummistiefel und allem voran ein, für Liebesbekundungen offenes Herz sind die beste Ausrüstung für den Besuch einer 21-köpfigen Huskyfamilie. Noch bevor die Welt,- und Europameisterin die Schleusentür geöffnet hat, wird überschwenglich und akrobatisch, vor allem aberlautstark bekundet, dass sich 21 Hunde wie verrückt freuen.

3 Huskys warten hinter dem Zaun

Wolfgang Petz, Lebensgefährte und sportlicher Berater, der selbst über 30 Jahre Erfahrungen in diesem Metier mitbringt, geht streng auf die sieben wild übereinander purzelnden, aufgeregten Junghunde zu. Fast schlagartig verstummen die. Nur hier und da bricht aus einem der weißen oder grau, gelb, braun geflecktenHunden ein Wuffen heraus.

Mitten in die gerade erzeugte Ruhe alarmiert ein bestimmtes, ohrenbetäubendes, kindlich anmutendes Kreischen. Gezwickt, gepiesackt und scheinbar gemobbt liegt Bounty, mit drei Monaten die Jüngste, unter ihren älteren Zwingergenossen. Doch schnell wird ersichtlich, die Kleine hat es faustdick hinter den Stehohren. Wie ein Flummy springt der Welpe auf Iris Arm und verteilt von oben ein paar Pfotenhiebe. Da verwundert es nicht, dass ihr ein paar Teamregeln ins Fell gezwickt werden.

Ein Leben für einen Traum

Iris, die seit ihrem 12. Lebensjahr Schlittenhunde über die europäischen Trails dirigiert, sorgt mit Kotschippe und Wasserschlauch für Sauberkeit in den Gehegen. Währenddessen erläutert mir Wolfgang ein paar Grundsätze: „Ein Rennen gewinnst du zur Hälfte bereits im Zwinger. Wenn dort keine Ordnung herrscht, verpulvern die Hunde wertvolle Energie im Chaos.“ Je klarer die Ansagen der Teamleiterin vor dem Freilauf im großen Gehege sind, desto weniger spannungsgeladen stürzen die Hunde in den Auslauf. Gleiches gilt auch beim Fressen: Mit der eigenen Futtermarke „Meister Petz Dogfood“, hat Iris die Wassernäpfe etwas angereichert. Erwartungsvoll sitzen die Rüden Elvis, Joker und Anton auf dem Boden und warten auf die Freigabe.
Vor dem Training, erklärt Wolfgang, ist ausreichendes Trinken, das sogenannte Wässern, ein ausgesprochen wichtiger Faktor für jeden Husky im Gespann. „Wir haben die vergangenen Saisons, in der Iris nebender Welt,- auch die Europameisterschaft in der 4-Hunde-Klasse gewonnen hat, genau analysiert. Immer dokumentieren wir Temperatur, Wegstrecke, Tempo. Ebenso, auf welcher Seite dieser Hund besser läuft und die Harmonie in der jeweiligen Gruppe. Irgendwann fiel mir auf, dass einer der Rüden, der aus unerfindlichen Gründen immer etwas tüddelig schien und unterwegs viel Schnee fraß, seine Morgensuppe nie vollständig soff.
Viele Musher vernachlässigen solche, vermeintlichen Kleinigkeiten, doch sobald wir diesem Hund das Trinken durch beigefügte Fleischfasern noch schmackhafter machten, lief er deutlich zielstrebiger.“

Namenstafel vor dem Training

Zeigen sich zuhause alle als noch schnell zu disziplinieren, werde ich später beim Training Huskies zu sehen und vor allem zu hören bekommen, deren Lauf-Motivation auf Hochtouren rotiert. Auch, wenn die Tiere das 400-Kilogramm-Trainings-Quad im gebremsten Zustand nicht von der Stelle bewegen können, sollte dennoch besser ein Helfer die, sich wild in ihre Geschirre werfenden, über die Zugleine springenden Hunde halten.
Der 15 Monate alte Anton, den Iris als swing dog, also an dritter Position neben den vierjährigen Köbes an die Zentralleine gehängt hat, muss von ihr deutlich zur Ordnung gerufen werden. In seinem unbändigen Drang, loszusprinten, will er sich auf seinen Laufnachbarn stürzen. „Er ist noch nicht so nervenstark,“ sagt die 45-jährige Musherin.

Husky Kommunikation


„Die Zusammenstellung der Hundepaare überlege ich mir meist schon am Abend zuvor. Für die Leithunde eignet sich am besten eine Kombination aus einem erfahrenen und klugen Leader als Lehrer für jüngere, in der ersten Reihe noch unerfahrenen Hund.“

„Welche Tiere kommen denn überhaupt für die Führungsposition in Frage?“

„Zunächst muss man wissen, ein Leader wird geboren, nicht gemacht,“ beantwortet Wolfgang meine Frage.„Ein solcher besitzt ein aufgeschlossenes Wesen, er ist aufmerksam, seinem Musher innig verbunden und sozial zu seinen Teamkollegen. Es muss nicht zwangsläufig der Alphahund im Zwinger sein, aber diese Rüden oder Hündinnen besitzen eine angeborene Souverenität. Sie müssen „Ghee“ für rechts, „Haw“ für links und alle anderen Kommandos korrekt und schnell umsetzen. Auch beim Lauftempo sind sie maßgeblich gefragt, auf manchen Strecken müssen sie beispielsweise auch drosseln, um die Energie richtig einzusetzen.“

Während Iris, die bei Meisterschaften schon gegen 250 Teams aus 26 Nationen angetreten ist, noch mit dem Anziehen der Geschirre sowie dem Anlegen der Necklines beschäftigt ist, weist mich Wolfgang auf weitere Details hin, die alle zu Gewinn oder Misserfolg beitragen.

„Fullspeed klingt zwar gut, ist aber nur bedingt richtig.

Genauso wenig, wie jemand Hunde vor Erreichen der Zehnmonatsaltersgrenze einspannt, würde ein erfahrener Zughundesportler während der ersten Übungswochen niemals mit voller Geschwindigkeit fah-ren. Bis zu den Wettkämpfen, die ab Oktober von den drei verschiedenen Sportverbänden Fistic, WSA und JFFS ausgeschrieben sind, sollten die Hunde, wie menschliche Leistungssportler auch, an- und nachher wieder abtrainiert werden.“ Für die erste Übungsrunde hat Iris „Joker, Alina“ als Leitpaar, dahinter „Bonny und Fiene“ als „swing dogs“ und an dritter Stelle „Köbes, Anton“ mit kleinen Magnetschildchen auf ein Metallbrett gepinnt.

Alina ist eine sehr schlanke Siberian Huskydame mit gemischtfarbigen Augen aus Iris letztjährigem Wurf, die während der Läufigkeit mit ihrer Mutter getrennt von den Zwingerhunden im Haus wohnen durfte. Wolfgang runzelt skeptisch die Stirn. Anders als Iris würde er, der sich als früherer Profisportler intensiv mit Trainingsanalysen beschäftigt hat, diese junge Hündin noch nicht ganz nach vorn setzen. Absolut einig sind beide sich darüber, dass vom Ausladen der Hunde über das Spannen der Hauptleine bis zum Hinübersetzen der angeschirrten Tiere an die Zugleine die Musherin das Sagen hat. Es gibt in der Arbeit mit Schlittenhunden sehr viel zu bedenken, was für Laien und Zuschauer bei den Wett-kämpfen überhaupt nicht ersichtlich ist. Wolfgang und Iris haben einen mehreren Seiten umfassenden, sehr detaillierten Trainingsplan für die kommenden Wochen erarbeitet. „Und dennoch ist keiner, egal, wie strategisch er vorgeht, davor gefeit, Missgeschicke oder Fehler ausbalancieren zu müssen. Eine der besten Leit-Hündinnen, die Iris hatte, ist durch einen Moment der Unachtsamkeit aus dem Halsband geschlüpft und entwischt. Es ist bei Huskys oder anderen ursprünglichen Hunden nicht ungewöhnlich, dass sie sich nicht wieder einfangen lassen. Ein solcher Verlust wiegt natürlich emotional mindestens genauso schwer wie bei der Leistung des Teams“.
Kaum eine Viertelstunde nach unserer Ankunft in den Waldfeuchter Feldern, dem Trainingsgebiet kurz vor der holländischen Grenze, ist alles bereit für den Start des ersten Gespanns. Das Polaris-Quad wirkt wie ein Panzer, vor dem mir die sechs Hunde trotz ihrer bereits im Stehen angespannten Muskeln sehr schmächtig vorkommen. Obwohl ich Alina und Joker kaum bändigen kann, seit Wolfgang mich gebeten hatte, das vordere Paar zu halten, habe ich keine Ahnung, wie dieses monströse Gefährt von den 24 Pfoten bewegt werden soll.

Die gelernte Tierarzthelferin, ausgebildete Fitnessfachfrau und Mutter eines ebenfalls im Schlittenhundesport erfolgreichen Sohnes, rückt im Spiegel ihre Helmkamera zurecht. Mit einem Handzeichen gibt sie das „Go“ und ich kann gerade noch rechtzeitig loslassen, zur Seite hechten und in der Staubwolke eine davonstieben-de Shilouette verfolgen. Die, in ihren Transporterboxen verbliebenen sechs Hunde, Emma, Elvis, Alpha, ihre Schwester Amy, Charly und Paul richten ein herzerweichendes Chorheulen wie ein Stoßgebet zum bedeckten Himmel. Und auch ich bin erfreut, als der Scheinwerfer des Quads über den Hügeln aufflammt. 12 Minuten und 4,8 Kilometer später biegen alle mit heraushängenden Zungen um die Kurve. Ohren und Köpfe tätschelnd, jeden einzelnen lobend, spannen Iris und Wolfgang ihre Schützlinge an die Zentralleine und geben ihnen etwas zu trinken. Am gesamten Prozedere ändert sich nichts, Hunde werden getauscht, über Karabiner an jeweils zwei Leinen an die Zugleine gehängt, sie absolvieren die gleiche Runde und noch vor zehn Uhr sind wir alle wohlbehalten wieder zurück.

Unsere Ankunft wird von den daheimgebliebenen Junghunden in einem kurzen Willkom-menstohuwabohu kommentiert und schon verstreuen sich fünf Generationen oder 84 Pfoten im großen Auslauf. Da werden übermütig Grasbüschel ausgerissen und stolz wie erlegte Beute vor den anderen Jungspun-den hergetragen. In einer Ecke hat Charly unter einem Strauch Herzchen in den Augen und sieht aus, als würde er Amy ins Ohr säuseln, während er verzückt daran herumleckt. „Fehlt nur noch der Mistelstrauch,“ lacht Iris und schmust die beiden, auf zwei Beinen an ihr aufgestellten Conan, Fiene und Dumbo. Bei dem Gewusel komme ich mit den vielen Namen einige Male gründlich durcheinander. Da die Züchterin bei jeder Geburt ihrer Würfe dabei war, sie auch ab und an noch im Zwinger bei den Hunden schläft, erkennt sie die Jungens und Mädels selbstverständlich ohne Mühe. „Fiene hatte 2018 nur einen Welpen und ihre Bonny or-dentlich verzogen. Wir haben sie sogar dabei ertappt, wie sie den vier, nur wenige Tage älteren Kids ihrer Schwester Emma die Spielzeuge weggenommen hat, um sie ihrer eigenen Tochter zu geben.“

Dem Reinigen der Zwinger, Füttern der Kleinen und Beschmusen aller folgt eine Ruhepause für die Hunde. Iris und Wolfgang setzen sich an die Analyse der, mit einer GoPro-Helmkamera aufgezeichneten Trainingsvideos. Mit geschultem Blick, neu überlegten Strategien gehen die beiden emsig jedes Detail, jede Schwäche und Stärke der einzelnen Tiere durch. Schmunzelnd korrigiert Wolfgang sich beim Anruf des Sponsorpartners LedLenser: „Guten Morgen ist nicht richtig, wir sitzen nur grad beim Frühstück, ich habe übersehen, dass es schon fast Mittag ist.“

Nachmittags sind die Stunden bis zur Abendbeschäftigung, Fütterung, Auslauf und erneuten Zwingerreinigung gefüllt mit Konzepterstellung, Kommunikation auf allen Kanälen, Absprachen mit Kollegen, Einkaufen, Geschirrspülen, Reparaturen und Reiseplanungen. „Manchmal denke ich abends, oh, jetzt noch raus, ich bin schon so müde,“ gesteht Iris, die im vergangenenJahr einen totalen Zusammenbruch nach Wolfgangs sehr kompliziert verlaufener Organtransplantation hatte und beide durch Klinikaufenthalte für ein halbes Jahr komplett ausgefallen waren.

„Doch dann sitze ich hier auf der Bank, schaue meinen Hunden zu, lasse die Trainings vom Morgen Revüe passieren und weiß wie-der, wie ich Glück buchstabiere.“

Iris Mauderer mit zwei ihrer Huskys

Der Artikel ist erschienen in PARTNER HUND, 04.12.2019

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