Wie schön, du schnarchst oder 480 Kilometer im Cargobike
Neben mir schnorchelt meine Hündin Yoshi durch ihr halbverdecktes Nasenloch, mit dem sie auf meinen, sicher stinkenden Radfahrstiefeln liegt.
Hinter dem, vom Moskitonetz abgeschirmten Eingang hat sie schnell gelernt, dass sie dort vor Mücken, Fliegen und anderen Plagegeistern sicher ist. Noch vor mir schlüpft Yoshi, sobald es aufgestellt ist, in unser Zelt und legt sich quer über die ganze Breite. Wären wir ein Ehepaar hätten wir sicher den berühmten Kopfkissenstreit. Für den ich heute ohnehin viel zu müde wäre.
Unglücklicherweise habe ich das Cargobike so geparkt, dass ich nun durch das Netz immer auf das heutige Elend schaue: Ein platter Hinterreifen drückt sich in den Waldboden als sei er ein Feldhase auf der Flucht. Als ich bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte, trabte Yoshi gerade brav den Berg neben dem schwer ächzenden Lastenrad hinauf. Oder war ich es, die keuchte? Um eine Vorstellung zu vermitteln, vergleiche ich uns mit der dreiwöchigen einer fünfköpfigen Familie im Van, mit Wohnwagen und Vorzelt in Festivalbühnengröße. Das Ganze auf eine 56Kilo-Frau, also mich und eine zehn Monate alte Herdenschutzhündin mit 32 Kilo plus Wachstum und schätzungsweise 55 Kilo Gepäck für mehrere Monate umgemünzt. Alles in allem habe ich auf dem Lastenrad unter Zuhilfenahme eines Elektromotors knapp 100 Kilo zu bewegen.
Ein Leuchtfeuer, um gefunden zu werden, muss ich jedenfalls nicht mehr entzünden, denn im nahegelegenen Bergdörfchen Hanfling wird mir morgen früh der ortsansässige Mechaniker helfen. Vorhin, nachdem ich das Maleur entdeckt und mich nicht von meiner eigenen Verzweiflung anstecken lassen wollte, hatte ich Rad, Gepäckanhänger und Zelt einfach am Waldrand zurückgelassen und war mit Yoshi einfach dort hinaufgepilgert. Laut Google Maps befanden sich nämlich alle, morgen anzusteuernden Fahrradläden in rückwärtiger Richtung oder so weit entfernt, dass ich mir nicht ansatzweise vorstellen kann, mit Gepäck, plattem Rad und Hund in der, seit Tagen anhaltenden Hitze dort lebendig zu landen. Meine Wanderung zum Ortseingangsschild führte durch wunderschöne, bereits abgeerntete Kornfelder, Mais und Sonnenblumen, alles, was ich in den vergangenen Wochen hier in Österreich immer wieder gesehen und trotz der Monokulturen im Kleinformat als Augenweide empfinde.
Auf grader Stecke wie dem gut ausgebauten und mit öffentlichen Steckdosen ausgestatteten Donauradweg von Passau nach Wien war das Ganze ein wirkliches Fest. Natürlich würde das nicht durch ganz Österreich so bleiben, sagte mir der Verstand und sorgte mit selbsterfüllenden Vorahnungen gleich ab Wien für die ersten Dämpfer. In einem Restaurant, an dem wir nach Stunden durch die heiße, laute und mit sehr holprigen Radwegen aufwartende Stadt gepoltert waren, ankamen, fragte ich, ob ich meinen Radakku aufladen dürfe. Natürlich würde ich auch etwas verzehren. Der Chef überschaute die Situation, fünf von sieben Tischen leer, also, warum nicht. Yoshi schmiegte sich müde und genervt in den Radvorbau und wollte keinesfalls aussteigen. Angesichts der Aussicht, aus Wien an diesem Abend nicht mehr auf den Radweg nach Ernstbrunn herauszufinden, schien es mir ratsam, den Akku für die Suche in unebenem Gelände vorzubereiten. Einiger Überredungskünste bedurfte es schon, dann hatte meine Hündin sich unter dem empörten Gekläffe dreier Tibetterrier unter den am weitesten entfernten Tisch von den Hofdamen gequetscht. Prompt stand mit angewinkelten Armen eine Kellnerin vor mir und verweigerte mir den Platz. Es sei alles reserviert.
Eine Nachfrage meinerseits würgte sie ab, in dem sie mir in meine mit dem zu wendenden LongVehicel und der nun noch weniger motivierten Yoshi genug zu tun habende Hände eine Minisaftflasche drückte und mich mit einer abwertenden Geste hinfort zu wischen gedachte. Ein paar hundert Meter weiter entdeckte ich dann das Arndtstüberl, ein Wiener Urgestein, das mich sofort an Altberliner Kneipen im Prenzlberg zu DDR-Zeiten erinnerte. Überwältigt von der freundlichen Selbstverständlichkeit, mit der die gebürtig serbische Wirtin Milojka mir die Steckdosen zeigte, ihren 16 Jahre alten Kater davon abhielt, Yoshi unterm Tisch vertreiben zu wollen und von unserer anregenden Unterhaltung, schloss ich meinen Frieden mit Wien und diesem Tag.
Diese Nacht neben einem Wiener Tennisplatz verging super ruhig, ebenso wie so viele andere Nächte auf diesem Weg: In Sonnenblumenfeldern, an Waldrändern, zwischen Holzstapeln, auf Campingplätzen, an Flussläufen und bei freundlichen, hilfsbereiten Österreichern, die mir Getränke bringen oder erlauben, auf ihrem Gelände zu übernachten. Die interessiert fragen, wie der hund so mitreist, wo ich herkomme, wo ich hin will, die fragen, ob ich Hilfe brauche. Natürlich haben wir auch die anderen getroffen, die mich erstaunten, weil sie weder den Hund noch das ausgefallene Cargobike überhaupt wahrnehmen. Zahnarztklienten, die Beißschienen aus Plastik für die Nacht empfohlen bekommen, gibt es sicher auch europaweit.
Ungeachtet aller Befürchtungen, die Berge und Navigation, meine Ausgaben und Einnahmen betreffend, haben wir schon über 480 Kilometer und diverse Höhenmeter seit unserem Start in Krailling bei München vorzuweisen. Wegen des Plattens liegen wir zum ersten Mal seit Wochen unfreiwillig fest. Dennoch, im warmen Abendlicht sieht der Übernachtungsplatz romantisch aus und niemand wird mir glauben, dass ich mich überhaupt in einer Art Notlage sehe.
Vorhin kam dann ein schrabbeliges Pickupgefährt herumgekachelt, bog in unseren Ankerplatz, der geruchlich einwandfrei verortet, ans Wildschweinrevier grenzt, ein und versicherte sich sehr höflich, dass ich hier bitte nicht heizen möge. Ähm, heizen? Bei 35 Grad im Schatten? Achso, er meinte, Feuer machen, Grillen…nein, klar, auch das liegt mir fern.
Der kommende Morgen bescherte mir einen Kaffee auf dem Hof des Bauern, einen Schattenplatz für Yoshi, die Feststellung, dass ich mit Flickzeug nicht würde auskommen. Also wurde ich nach Neunkirchen gefahren, Bauer Probst wollte mir sogar den neuen Schlauch zahlen. Als die Kassiererin beim großen Radhändler “Forstinger” darauf verwies, es sei nur ein Mechaniker vor Ort, der nicht wegen meines aufzuziehenden Rades die “Laufkundschaft” warten lassen könne, telefonierte Bauer Probst mit Daniel, der als Mechaniker extra für die Reparatur gerufen wurde. “Stell dir vor, die quietschen da woas herum, von wegen keine Zeit…”. Erbost mischte sich die Kassiererin ein: “Wir quietschen nicht umeinand, wir haben wirklich keine Zeit.”
Mit quietschenden Reifen fuhren wir in die Berge zurück, Daniel zog in NUllkommanix meinen neuen Schlauch auf und ich bin wieder auf Reisen….wo längst neue Abenteuer darauf warten, aufgeschrieben zu werden.