Artikel veröffentlicht in L-Mag 2008
„Bei uns in Riga ist es fast wie in L-Word“, erklärt Katja augenzwinkernd. Sie ist 22, attraktiv, blond und führt schnellen Schrittes durch die regennasse Altstadt. Hauptberuflich arbeitet sie für die lettische Regierung, nebenberuflich schreibt sie für eine konservative Tageszeitung über Wirtschaftsthemen. Katja wirkt selbstbewusst und sie war die einzige Lesbe, die bei shoe.org geantwortet hat, ob und wo Lesben sich in Lettlands Hauptstadt treffen.
Was sie mit dem eingangs erwähnten Satz über „L-World“ meint, wird klar, als Katja von ihren Enttäuschungen spricht: „Es gibt eigentlich nur zwei brauchbare Gay-Treffpunkte überhaupt“, einmal die „Golden Bar“, in der wir einen schlecht besuchten Montagabend erwischen. Die zweite Option sei eine fast ausschließlich von Männern frequentierte Bar namens „XXL-Club“. Touristen dürften große Mühe haben, diese Lokalitäten zu finden, denn weder lassen sie sich googeln, noch gibt es ein Szenemagazin und auch von außen ist die Golden Bar nicht als Gay erkenntlich.
Katja geht gestikulierend die Treppe hinauf: „Weil viel zu viele Frauen versteckt leben, kennt jede jede, und es ist wie mit Alice Plan in „The L-Word“: Wer hatte schon einmal etwas und wie mit wem, wer hat welche Frau über wen getroffen?“
Da die Unterhaltung mit Katja ungezwungen und spannend ist, fällt es nicht auf, dass wir in dem kaum beleuchteten, uncharmant, retro-ostig mit Spanfaserplatten ausgekleideten Raum den ganzen Abend über fast allein sind. In ihrem beruflichen Alltag kümmert Katja sich um das Fundraising der lettischen Regierung, und sie findet, dass es mit Lettlands Homorechten viel zu langsam vorwärts geht. Sich in ihrem Kollegenkreis zu outen, sei ihr unmöglich. Was denn passieren würde? Sie lacht unsicher: „Dann wäre ich für alle Zeiten das Opfer beleidigender, demütigender oder verächtlicher Sprüche“ oder – was noch schlimmer sei, „man nähme mich beruflich nicht mehr ernst.“
Sie spendiert zwei Campari-Cocktails, muntert den Barkeeper Anatoly auf, als der etwas schüchtern hinter einer Maske für ein Foto posiert. Sieben Euro kosten die beiden Drinks, die sie per Kreditkarte zahlt. Zwei Besucherinnen gesellen sich – kurz herüber grüßend – an einen der Nachbartische, während Katja einen Parcours von ihrer Kindheit zu einer geplanten Webseite sowie der Szene in Riga hinlegt. Sie hat Details zum Wirtschafts- und Sozialsystem Lettlands ebenso parat wie ganz private, romantische Pläne im Kopf.
Mit ihren weißrussischen Eltern gehört sie zu den vielen mehrsprachigen LettInnen, die neben Russisch, Lettisch und Englisch auch noch Französisch beherrschen. Wobei sie ihre gute Note in letzterem dem Umstand zu verdanken habe, dass sie den Lehrer eines nachts in der „Golden Bar“ traf, ein gegenseitiges Outing und eine Freundschaft unausweichlich war.
Im Gegensatz zu Katja wagte besagter Lehrer sich nicht zur berüchtigten CSD-Parade 06, bei der die Demonstranten mit Beschimpfungen, faulen Eiern und Exkrementen beworfen wurden. „Wir sind wahrlich kein Vorzeigeland, denn Riga und Ministerpräsident Kalvitis wollten die Parade zunächst verbieten. Nach einem Gerichtsbescheid konnten wir schließlich doch unter starkem Polizeiaufgebot demonstrieren.“
Peinlich sei aber nur gewesen, dass sich nur „ein kläglicher Haufen von weniger als 100 Leuten“ gezeigt habe. Lettlands Homos musste bereits 2005 eine Gesetzesänderung hinnehmen, empört sie sich, wonach die Ehe zwischen Mann und Frau von der Verfassung geschützt ist.
Wenn Katja sich ärgert, wirkt sie nicht so sehr zornig, als vielmehr engagiert. Umso mehr, als es um ein Webprojekt geht, dass sie mit Freunden aufziehen will. Katja offenbart die ehrgeizigen Pläne für www.mio.lv als ginge es um ein zu adoptierendes Kind: „Eigentlich sollte die Webseite bereits Ende Januar 2008 online gehen, leider hat unser Webdesigner vorher noch andere Projekte umzusetzen, also müssen wir das Ganze verschieben. Das macht mich wütend, denn es soll das erste umfassende baltische Forum sein, wo alle gay-relevanten Themen diskutiert werden können. Egal, ob es um psychologische Themen oder Humoriges geht, wir wollen den Homos im Baltikum endlich eine vernünftige Plattform bieten. Privat gefärbte, intime Bloggs, anonym oder out, sind ebenso angedacht wie Filme a la youtube einzubringen.“
Katja und ihre Mitstreiter versprechen sich von einem solch professionell durchdachten Internetportal, dass die lettische und später auch die osteuropäische Gaycommunity endlich besser vernetzt. „Selbst in Riga, in Lettland sowieso, ist es immer noch und zu meinem großen Bedauern – selbst online – außergewöhnlich schwer, Informationen zu bekommen. Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert.“ Kontakte zwischen den baltischen Lesben und Schwulen sind auch eher rar, „das hängt natürlich nicht zuletzt an den Sprachbarrieren“, vermutet Katja. „In den letzten drei Jahren waren Schwule und Lesben in Bars häufig gewalttätigen Auseinandersetzungen ausgesetzt. Die Polizei führte ungenehmigte Razzien durch. Die Läden wurden geschlossen und die Geschäftsführer wurden von der Polizei eingeschüchtert.“
Katja raucht dünne, superleichte, langstielige Zigaretten.
„Ja, es gibt durchaus eine Diskussion über die Notwendigkeit anerkannter Partnerschaften oder Hochzeiten, unglücklicherweise ist die Haltung der öffentlichen Stellen dazu ausgesprochen negativ.“
Da Katja neben ihren beiden Jobs noch einen Abschluss in „International Studies“ zu bewältigen hat, stellt sich die Frage, ob, wie und wann sie ein privates Leben gestaltet. Sie arbeite, seit sie achtzehn ist, wohnte anfangs bei ihren Eltern und kann sich nun endlich eine circa 500 Euro teure Mietwohnung am Stadtrand Rigas leisten. Erzählte sie über die politischen Themen noch eloquent und sprudelnd, wird der Bericht über ihre bisher gelebten beiden Liebesbeziehungen nachdenklich und bedauernd. Ihre erste Freundin lernte Katja übers Internet kennen. Die Frau stammte aus dem von Riga nicht allzu weit entfernten Helsinki, lebte aber damals in Australien und „wir schrieben uns in Rausch“, da war Katja 17. Nach der Trennung ging sie für drei Monate nach England. Nach ihrer Rückkehr trifft sie ebenfalls im Netz ihre zweite Freundin und wie sie sagt, große Liebe. Anderthalb Jahre funktioniert es mit der ebenfalls in Riga lebenden Frau reibungslos, dann trennt sich die Freundin. Katjas Eltern reagieren auf die Trennung unterschiedlich. Die Mutter hat sich offenbar mit dem Outing der Tochter abgefunden und tröstet die Tochter. Allerdings nur, wenn der Vater nicht in der Nähe ist, er kann und will nicht akzeptieren, dass seine Tochter, hübsch wie sie sei und ja auch nicht dumm, keinen Mann finden könne.
Katja trägt das mit Fassung: „Ich habe immer gesagt, dass es für mich am wichtigsten ist, meine Individualität zu bewahren, ich selbst sein und mit meinem Leben anderen ein Vorbild sein zu wollen. Eine Lesbe zu sein, ist meiner Ansicht nach keine Sünde oder Gottes Segen – es ist einfach wie es ist, du bist eine Lesbe, nichts weiter und doch viel mehr. Mir scheint am wichtigsten, was du als Person erreichst, einzig und allein das wird respektiert, egal, ob du in Lettland, einem anderen Land oder in der L-Word-world lebst.“
Infos
https://www.instagram.com/lgbtriga/
Eine Eurobarometer-Umfrage vom Dezember 2006 zeigte, dass 12% der Letten eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle befürworten. Nur 8% stimmen zu, dass Lesben und Schwule ein Recht auf Adoption haben sollten. (Der EU-Durchschnitt liegt bei 44% und 33%). (Wikipedia)
Beim ersten und nur von 50 Teilnehmern vollzogenen CSD „Rigas Praids“ 2005 kam es zu heftigen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten. Die Parade sollte zuvor wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden. Zahlreiche Politiker äußerten sich kritisch gegen die Genehmigung und bezeichneten den Event als „rapide Ausbreitung eines perversen Kultes“. [5]
2006 wurde die Schwulenparade wegen Sicherheitsbedenken vom Stadtrat untersagt [6]. Ein stattdessen stattfindender Gottesdienst von 50 Teilnehmern in einer anglikalischen Kirche wurde von einer rechtsradikalen Gruppe gestört. Die Teilnehmer wurden mit Fäkalien beworfen und es kam zu Handgreiflichkeiten. Fünf Skinheads wurden festgenommen.[7] Der Veranstalter Mozaika hat gegen das Verbot geklagt und vor einem Berufungsgericht recht bekommen.