ein japanischer Garten im Mangstil
Journalismus

Mangas – Pinselstriche für alle

In japanischen Gärten gibt es nicht nur Steine, Pflanzen und bemooste Brücken, sondern in den Bächen auch eine Klangraffinesse namens »shishiodoschi«: Dahinter verbirgt sich ein Bambusrohr, das in regelmäßigen Abständen volläuft, anschließend beim Entleeren herunterklappt und dabei auf einen Stein klopft. Das so verursachte tockernde Geräusch des Bambusstammes beim Leerlauf soll bewusst die Ruhe des Gartens unterbrechen.

Doch viel wichtiger als die »Ruhestörung« ist die Stille, das Fließen, der Zwischenraum von Klong zu Klong – es ist das »Ma« (Dazwischen), von dem Zen-Buddhisten sagen, es sei das, worauf die Konzentration gerichtet werden müsse.

Japanische Comics, Mangas genannt, arbeiten ähnlich. Comics mit einem meditativen Prinzip? Mangas unterscheiden sich von nichtjapanischen Comics nicht nur dadurch, dass sie von rechts nach links, zum Herzen hin gelesen werden, sondern auch, weil sie sich aus erstaunlich vielen Einzelbildern zusammensetzen. Man bekommt beispielsweise zuerst ein Haus als Ganzes zu sehen, dann zoomt sich der Zeichner in Einzelszenen fast versessen an die Details heran. Mit viel Liebe wird auf das »Dazwischen« hingearbeitet, das, was man normalerweise nicht auf den ersten Blick wahrnimmt.

Im Katalog zur – gerade in Berlin – gastierenden Ausstellung »Manga – Die Welt der japanischen Comics«, die von der Japan Foundation kuratiert wurde, kann man die These des Autors und Manga-Forschers Scott McCloud lesen: »Eine Szene mit den Augen ganz ruhig zu verfolgen und dadurch die Momente zu entdecken, ist eine Art an Dinge heranzugehen, die Japaner mögen.« Er stellt die Hypothese auf, dass sich hinter der besonderen Machart japanischer Comics eine Tradition verberge, die dem scheinbar überflüssigen »ma«, dem »Dazwischen« eine spezielle Bedeutung einräumt. Die Ausstellungsmacher haben sich zum Ziel gesetzt, diese Tendenz erlebbar zu Machen, und sie gehen dafür zurück bis zu den Anfängen der japanischen Comics.

Kleiner historischer Abriss

In der Edo-Zeit (1600-1868) begann man in Japan kibyôshi (Hefte mit gelbem Umschlag) anzufertigen, in denen Bild und Schriftzeichen sehr nah nebeneinander gezeigt, sie als Ganzes zusammengestellt wurden. Da die Schriftzeichen – seit dem 5. Jahrhundert dem Chinesischen entnommen und weiterentwickelt – im Ursprung Piktogramme sind, ist diese Mischung von Bild und Text durchaus naheliegend.

Die Meiji-Restauration (1868) brachte einen Prozess der Modernisierung mit sich. Gerade im Bereich des Buchdrucks kamen zahlreiche Neuerungen zum Einsatz und der Verbreitung der traditionellen Kunst kam das neue Medium der Zeitung zugute. Westliche Maltechniken und Karikaturen hatten verstärkt Einfluss auf die japanischen Künstler, amerikanische Comicstrips wurden importiert, das Medium Film entstand. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, so schreiben die Katalogautoren, nahmen die Mangas ihre heutige Form an. In einer Epoche also, in der die urbane Besiedlung und mit der zunehmenden Industrialisierung eine Kultur des Konsums durch die Massen begann. In den letzten Jahren wurden Mangas sogar Gegenstand der akademischen Forschung. An der Seika-Universität in Kyôto beispielsweise wurde ein offizielles Fach für Manga eingeführt.

Manga-Autoren beschränken sich in ihren Comics nicht auf die beiden Silbenschriften Katakana und Hiragana. Häufig trifft man in den Originalen auf chinesische Wortschriftzeichen, die Kanji. Was die Übersetzung der Kanji ‚màn‘ und ‚huà‘, die in Japanisch ‚manga‘ gesprochen werden, angeht, gibt es keine Übereinstimmung: Gelegentlich werden die beiden Wörter mit »10.000 Bilder« übersetzt, mancher meint, es hieße »witzige Bilder«, im Katalog des Comicfests München 2000 wurde ‚man‘ als »spontan« und ‚ga‘ als »Bild« übertragen.

Auf der Manga.de-Site schreibt ein Kenner: »Wenn man die Wörter einzeln nach ihrer Herkunftsbedeutung untersuchen möchte, lässt ein Blick ins japanische Wörterbuch schmunzeln: ‚ga‘ heißt nämlich Motte, ein Manga wären folglich 10.000 Motten.« Und weiter: »Der Blick ins chinesische Wörterbuch ist da aufschlussreicher: «man» steht für überfließen, überfluten, überall, allerwärts, frei, zwanglos, und «huà» heißt malen, zeichnen, Malerei, Zeichnung, Bild, mit Bildern geschmückt. Wem die Freude am Zusammenpuzzeln dann immer noch nicht ausgeht, der wird entdecken, dass im ersten Kanji links das Symbol für Wasser auftaucht (diese drei «Spritzer» links), was auf etwas Zahlreiches hindeutet. Und im zweiten Kanji steht das fensterartige Quadrat eigentlich für Reisfeld, oder?«

Ein paar Zahlen

Manga-Produktionen sind zielgruppenorientiert: Es gibt Comics für Kleinkinder, Comics für Kinder, es gibt sie für Mädchen, andere extra für Jungen und spezielle Mangas für Erwachsene.

40 Prozent aller japanischen Druckerzeugnisse sind Mangas. Dass wir in Europa so wenig davon mitbekommen, liegt daran, dass die Comic-Verlage auf dem alten Kontinent, wenige Beispiele wie Carlsen oder Egmont Manga & Anime Europe GmbH ausgenommen, in diesem Bereich sehr zurückhaltend sind.

In Japan wird der Anteil der Gesamteinnahmen durch Mangas für Druckerzeugnisse mit etwa 2.600 Milliarden Yen, einem Viertel der Einnahmen aller gedruckten Erzeugnisse, angegeben. Diese nicht zu unterschätzenden Erfolge verdankt die Mangageschichte unter anderem einem, der als Pionier unter den Autoren angesehen wird: Tezuka Osamu brachte 1953 eine Comic-Adaption von Dostojewskis »Schuld und Sühne« auf den Markt und setzte damit einen Meilenstein der japanischen Comic-Historie. Er gilt vielen Manga-Autoren als großes Vorbild und wusste durch seine Erfindungsgabe auch Erwachsene für den Manga zu begeistern. Beim Carlsen-Verlag erscheint von Tezuka Osamu die Serie »Astro Boy« in deutscher Übersetzung.

In Deutschland begann der Siegeszug der Mangas vor ungefähr zehn Jahren mit dem Klassiker »Akira«, damals von Fachleuten als vorübergehendes Phänomen abqualifiziert. Doch entgegen aller negativen Prophezeiungen etablierten sich in den letzten beiden Jahren immer mehr japanische Comics auf dem deutschen Markt. Und nicht nur das: Japanische Zeichentrickfilme (Animes) wie »Prinzessin Mononoke« laufen mit großem Erfolg in deutschen Kinos, Vox sendete die Kult-Serie »Neon Genesis Evangelion« und RTL2 baute sein Anime-Programm von 30 Minuten auf vier Stunden aus.

Der Hamburger Carlsen-Verlag konnte von seiner deutschen Ausgabe des Manga »Dragon Ball« inzwischen eine Gesamtauftlage von fast drei Millionen Exemplaren verkaufen. »Vor zehn Jahren waren Mangas von der Preisstruktur her ein Luxusprodukt«, sagt Carlsen-Verlagsleiter Kaps. »Jeder Band kostete nahezu 30 Mark.« Heute bekommt man die Taschenbücher zu Preisen zwischen acht und zehn Mark.

Mangas sind mehr als Comics in Buchform

Ein Grund für die riesige Verbreitung der Mangas ist sicher in der cleveren Vermarktung zu finden, denn die japanischen Verlage liefern nicht nur Taschenbücher, sondern Mangas sind Vorlagen für Zeichentrickserien bis hin zu Kinofilmen, sie sind der Input für Computerspiele, und das Merchandising mit beliebten Mangafiguren wie Astro-Boy oder Prinzessin Mononoke boomt weltweit.

Ist eine Serie erst mal erfolgreich, kann nichts sie aufhalten, das beste Beispiel dafür war die Pokémon-Welle, die auch Deutschlands Kids erfasste. Die Bandbreite der Geschichten, sie reicht von Krimis über historische Episoden aus der Samurei-Zeit bis hin zu Hightech-Zukunftsvisionen, ist sicher ein weiterer Grund für die Beliebtheit der Mangas.

Im Berliner Museum für Ostasiatische Kunst sind noch bis zum 16. September im Rahmen der Wanderausstellung »Manga – Die Welt der japanischen Comics« zarte, expressionistische Pinselstriche wie die von Katsuya Terada oder derbe Karikaturen wie die von Tiger Tateishi zu sehen. Die Ausstellung entführt aber auch in die fantastischen Welten eines Tezuka und will mit dieser Bandbreite eine Übersicht über die japanische Zeichnerszene zu geben. Kein ganz leichtes Unterfangen, denn Einzelbilder können schwer wiedergeben, was den Manga-Comic auszeichnet: brillante Geschichten gepaart mit zeichnerischer Perfektion und spannendem Erzählfluss.

erschienen bei stern.de: stern.de/kultur/manga-pinselstriche-fuer-alle-3888594.html

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