Ich habe mich in Lütjenburg verteidigt. (Mal wieder). Dieses Mal gegen eine Frau mit Handy, moralisch aufgeladen bis in die Seitenspiegel. Sie hatte das Bedürfnis, mich zu maßregeln – fürs Parken. Für mein Wohnmobil, das Zentimeter-passgenau in der Markierung stand. Für meinen Hund, der im Fahrzeug blieb, aber doch atmete. Lebte. Und also Anlass genug bot, mit dem Satz „Ich rufe jetzt die Polizei!“ einen ordnungsliebenden Showdown einzuleiten.

Ich habe nichts gesagt. Und – ganz Zen – Gedanken mit post-it-Gedanken frankiert. Später fiel mir auch Thomas Mann ein. Vielmehr las ich das in einem „Schreibsuchti-newsletter„.

KI generiert
Der nämlich hat seinerzeit eine Art Sockenschlag geführt. Ein Textilhändler hatte ihm ungefragt ein Päckchen geschickt – mit der Notiz, er möge doch bitte 11 Dollar für die Socken überweisen. Eine klassische Kaltakquise, altmodisch, aber bis heute relevant. Denn sie zeigt, wie dünn die Grenze ist zwischen Geschenk und Zumutung. Zwischen Aufmerksamkeitsangebot und Grenzüberschreitung.
Thomas Mann – der übrigens oft zu wenig Trinkgeld gab – antwortete mit literarischer Schlagfertigkeit. Schickte dem Händler eines seiner Bücher zurück. Dazu eine Notiz:
„Werter Herr! Dieses Buch wird von meinen Lesern gerne gekauft. Ich bin überzeugt, dass es auch Ihnen gefallen wird. Es kostet 20 Dollar. Ich bitte Sie, den Preis für die Socken anzurechnen und mir den Rest von 9 Dollar zu überweisen.“
Touché.
Ich hätte der Frau in Lütjenburg einen Glückskeks geben sollen. Vielleicht mit dem Spruch: „Manchmal ist Gelassenheit der größere Sieg.“ Aber Gelassenheit ist eine Disziplin, die täglich neu geübt werden will. Und meine Kampfarena sind Parkplatzmarkierungen, Einkaufskörbe, abgelaufene Parkscheine – und die emotionale Nachbearbeitung im Wohnmobil bei heißer Luft aus dem Gebläse und kühlem Licht der LED-Kette.
Sie wollte sauer sein. Da ich meine Wut schluckte, wurde mir auch im Ansatz des Sprechenwollens klar: Wie sinnlos. Opfer redet mit Opfer.
Na gut, ich schaute noch mal nach, aber das Wohnmobil stand zentimetergenau in der Markierung. Was also wollte sie?
Ach ja: Ich hätte den armen Hund im Auto gelassen!
Sie rufe jetzt die Polizei.

Aha.
Nun gut, ich gab ihr Recht. Aber nicht in der Sache. Sondern im Gefühl. Sie wollte das Gefühl behalten, recht zu haben. Ich wollte mein Herzklopfen loswerden.
Was ich ihr nicht mehr sagen konnte (und was ich hier gern vermerke, für alle mit Tierliebe und Thermometer):
Es waren 12 Grad Außentemperatur. Nicht 30. Kein Sommer, kein Hitzealarm. Der Hund war ausgeschlafen, lag gemütlich auf seiner Decke, das Fenster angekippt, das Fahrzeug gut isoliert – das ganze Szenario entsprach exakt dem, was auch Tierärzte für kurze Aufenthalte als unbedenklich einstufen.
Hätte ich bei Hitze auch nur den leisesten Zweifel gehabt – ich hätte mich in den Schatten gestellt oder wäre einfach nicht ausgestiegen. Punkt. Smiley.
Aber so war es – ein Frühlingstag in Lütjenburg, mit 12 Grad Celsius und einer Frau, die bei 98 Grad Empörung kochte.
Es geht ja nie nur um die Socke. Oder das Parken. Es geht um das Prinzip. Um das eigene Recht auf Raum. Und um das diffizile Verhältnis von Nähe und Distanz, von Angebot und Zumutung.
Genau da trifft sich die Episode mit der von Thomas Mann. Beide Situationen beginnen mit einer Geste, die vorgibt, freundlich zu sein – und enden in einem inneren Aufruhr.
Was ist eigentlich die Grenze zwischen Aufmerksamkeit und Aggression? Wo beginnt das Marketing und wo endet die Würde?
Ich frage das auch mich. Denn ich lebe im Wohnmobil. Ich höre die Lüftung rauschen, meine Mutter anrufen (nein, ich erzähle ihr nichts vom Wohnmobil), höre japanische Hörstücke, streife durch Erinnerungen an besetzte Wohnungen, Gasöfen und Berliner Kaltzeiten.
Und manchmal reicht eine Socke, um das Maß zum Überlaufen zu bringen.
Ich schreibe das auf, weil ich glaube, dass Schreiben – wie Kunst – ein Weg ist, solche Grenzverletzungen zu verarbeiten. Wie Louise Bourgeois es tat. Sie sagte: „Meine Skulpturen sind Konfrontationsstücke.“ Ja. Vielleicht ist auch dieser Text ein solcher.
Ein Konfrontationsstück über Socken, Thomas Mann, Wohnmobil-Leben und die leise Gewalt alltäglicher Erwartungen.
Und falls Sie beim Lesen das Gefühl hatten, dieser Text könnte Ihnen gefallen haben –
er kostet 20 Dollar. Oder eine freundliche Kontaktaufnahme mit einem extravaganten, ganz KI-losen Lächeln.