Alles beginnt mit einem Lachen
„Selamat pagi!“ grüßt jemand in freundlichem, indonesischen Singsang. Über meinen Stapel Vokabelkarten hinweglugend, entdecke ich unterhalb meines Balkons das Moped unserer Nachbarin. Zwei ihrer halbwüchsigen, verschleierten Freundinnen hocken dicht an die Fahrerin gedrängt und versuchen, sowohl das wenige Wochen alte Baby in der Mitte als auch die zwei voll beladenen Körbe Papayas auf dem Gepäckträger auszubalancieren. Schlingernd und kichernd startet sie das wacklige, überladende Gefährt und in den Tag. Sechs Uhr; Yogyakarta erwacht.
Es ist meine zweite Woche in dieser indonesischen Studentenstadt auf Java, in der ich drei Monate eine der hiesigen Sprachschulen besuche. „Wisma Bahasa“ bedeutet soviel wie „Haus der Sprache“ und existiert bereits seit 1999. Bereits vor meiner Ankunft hatte Nurzi, die allseits hilfsbereite Sekretärin meine Unterbringung in einem Homestay geregelt, wo ich nun gemeinsam mit Sprachschülern aus der Schweiz, England, Japan sowie einem englisch-lernenden Priester von der indonesischen Insel Flores lebe. Allmorgendlich, kurz vor Acht, stapfen wir im Gänsemarsch die Straßen entlang und versuchen nicht im allgemeinen Verkehrschaos unterzugehen. Für die Verkehrsteilnehmer könnte man durchaus eine eigene Schule einrichten, der Besitz eines Führerscheins ist eher eine Frage des Geldes, nicht der bestandenen Theorie oder gar Praxis. Mittlerweile haben wir uns an die von allen Seiten heranbrausenden, laut knatternden und vor allem stinkenden Mofas, die schlingernden Becaks, die fahrenden Müllsammler mit ihren unförmigen Dreiradkarren, auf denen Körbe voller Abfall thronen, gewöhnt.
Im Schulhof laden bequeme Rattansessel ebenso wie die aktuelle „Jakarta Post“ zum Verweilen ein, meist aber stehen schon die Lehrer, mit Kassettenrecordern und Büchern bewaffnet am Kaffeeautomaten und involvieren uns in einen lebhaften, auf Indonesisch geführten Plausch. Fast ausnahmslos beginnt jede Unterhaltung mit „Apa kabar? – „Wie geht’s“ oder aber der wenig ernstgemeinten Klage „panas“ (heiß) und noch bevor man ihnen das unvermeidliche „Baik-baik saja“ – „Gut, gut“ oder „ya, panas sekali“ (ja, sehr heiß) entgegen gelächelt hat, findet man sich auch schon im jeweiligen Unterrichtszimmer wieder.
In den nach indonesischen Orten oder Inseln benannten, spartanisch eingerichteten Räumen verbringt man dann je nach Wahl die nächsten vier oder sechs Stunden mit wechselndem Schwerpunkt und Personal.
Unabhängig, ob man nun sein Augenmerk auf die Grammatik oder den Wortschatz legt, Einzelunterricht ist Luxus und Qual gleichermaßen. Sprache, jedenfalls, wenn sie noch so unvertraut ist, scheint mehr als Sound oder Melodie denn wirkliches Kommunikationsmittel zu sein. Selbst mit den Lehrern, die alle Englisch, Französisch und manche gar Deutsch oder Japanisch gelernt haben, fallen die Unterhaltungen gelegentlich schwer, wenn ich deren wohlintonierte Aussprache nicht richtig imitieren kann. Meine Koordinatorin Apri, die zugleich meine Lieblingslehrerin ist, kennt meine Schwierigkeiten und da sie ein wenig Deutsch spricht, versucht sie mich mit gelegentlich deutschen Brocken aufzuheitern.
Die Pause nach anderthalb Stunden ist wohlverdient, denn so direkt angesprochen zu sein, bedeutet, permanent aufmerksam sein zu müssen und nicht ausweichen zu können. Es hat aber den Vorteil, dass wir ziemlich schnell auf unsere Schwächen aufmerksam gemacht und darüber hinaus direkt über die für uns interessanten Themen sprechen können. Und wenn man dann erst die ersten Erfolge beim Einkaufen oder Verhandeln des Preises für eine Tour aufzuweisen hat, macht das Lernen gleich wieder Spaß.
Mit einem Becak, einem dieser dreirädrigen Fahrradgefährte, in denen meist Touristen aber auch Indonesier wie Diven vorn auf einem gut gepolsterten Sitzbänkchen den Passanten präsentiert werden und der Fahrer hinten sich lächelnd abstrampelt, fuhr ich in der ersten Woche gemeinsam mit der Engländerin zur Jalan Malioboro, der größten und bekanntesten Hauptstraße Yogyakartas. Wie zu erwarten fanden wir uns, kaum ausgestiegen, in einem Trubel von Marktständen wieder, wurden ständig von allen möglichen Menschen gefragt: „Ke mana?“ Was meint: wohin des Wegs und eigentlich keine richtige Antwort erfordert. Die Alternative zu dieser Frage ist: „dari mana“ (woher?). Darauf ehrlich zu antworten, bedeutet, dass wir sofort in ein Gespräch verwickelt werden, denn jeder zweite sagt dann, „orang Jerman bagus“ (die Deutschen sind gut). Naomi, die Engländerin, fällt wegen ihrer Rastalocken und ihrer Größe extrem auf, für mich lustig zu sehen, wie vor allem die Frauen ihr nachstarren. Aber es ist auch immer ein willkommener Anlass für ein Gespräch,
Wir entscheiden je nach Sympathie, mit wem wir länger schwatzen, und in all diesen Unterhaltungen muss ich feststellen, wie unterschiedlich die Hochsprache, die ich in der Schule lerne, von dem ist, was Naomi bei einem früheren Aufenthalt in Indonesien auf der Straße gelernt hat und ich bin für viele mit meinem Schulindonesisch als „Baru“ (neu) erkenntlich. Selbst wenn ich ungefähr mitbekomme, worum es geht und auf ein paar der Fragen antworten kann.
Dennoch war bereits bei meinem ersten Stadtbummel, den ich allein meisterte, meine Motivation beachtlich gestiegen, ich hatte immerhin eine passende Hose und auch noch zum denkbar günstigen Preis von 25 Euro erstanden. Doch fürchte ich, die Cordhosen, die ich mir gekauft habe, könnten etwas warm werden. Allerdings konnte ich auch nicht auf eine besonders große Auswahl zurückgreifen. Nicht, weil es hier nicht jede Menge schöne Mode gibt, sondern eher wegen der Größen.
Sätze wie, das zunächst unaussprechlich scheinende: Ukuran celana saya „M“, oder “dua puluh sembilan atau tiga puluh“ fallen mir fast schon leicht, nur nutzt das oft relativ wenig. Die Größen hier fallen ganz einfach anders aus oder es gibt sie gar nicht erst. Kein Wunder, indonesische Frauen sind fast immer um einiges zierlicher als jedes europäische Supermodel.
Einkaufsexperimente sind aber in anderer Hinsicht interessant, denn Handeln ist, zumindest auf der Straße ständig von Nöten und ob man mit dem Taksi, beziehungsweise Becakfahrer einen vernünftigen Preis diskutiert oder mit der Marktfrau um die Früchte feilscht, es bietet sich immer an, ein paar Vokabeln der Landessprache zu beherrschen. Nachdem man die erste Hemmschwelle überwunden hat, macht es Spaß und man kann sicher sein, sich ein wenig Respekt erarbeitet zu haben. Nicht zuletzt bekommt man obendrein Komplimente, dass man so klug sei und schon so gut Indonesisch spräche.
Interessant, aber durchaus nicht immer spaßig sind die zahllosen Geräusche: nachmittags, abends und nachts sind da die jaulenden – nicht Katzen, sondern Muezzine, manchmal haben sie sogar Starbesetzung auf ihrem Minarett, oft aber klingen sie wie liebeskranke Provinzchorknaben. Unter den Sängern, ebenso wie unter den Straßenverkäufern haben wir unsere Favoriten. Letztere singen nicht, und sie verdienen unser ganzes Mitgefühl, denn sie haben die schrecklichsten, nervtötendsten Melodie-Hupen und Geräuschvarianten, die man sich vorstellen kann. Das reicht von einem gekrähten „Good morning, please wake up“ bis hin zu einer unerträglich gequietschten Coverversion von „Labamba“. Mindestens fünf von ihnen fahren unsere Straße täglich auf und ab, dann tönen sie mit ihren fahrbaren Eis, Nudel, es-campur,- oder Nasi-Gorengwägen und wir fragen uns oft, ob sie nicht nachts Alpträume hat von ihrem Jobs haben. Dann gibt es noch die Straßenverkäufer, die es nicht bis zu einem fahrbaren Untersatz gebracht haben, sie schieben einen Karren vor sich her und klopfen mit diversen Stöcken oder Metallen in verschiedenen Takten an ihre Lenkstangen, auch sie haben ganz klar voneinander abgrenzbare Sounds. Nicht mehr lange und ich kann genau sagen, wer was bringt, ohne vom Balkon hinab sehen zu müssen.
Ein weiterer Quell der Inspiration sind die Radiosender; die eine heiße Mischung aus westlicher Musik, unterbrochen von ekstatischen Moderatoren, bringen. Gern gespielt werden die BeeGees, Cat Stevens, Elvis – gemixt mit indonesischen Cover-Versionen von Beatlessongs oder anderen Balladen aus den 60ern, dazu eine gehörige Portion herzzerreißender indonesischer Songs, mit deren Hilfe ich versuche, meine Sprachkenntnisse aufzubessern: „cewek“ zum Beispiel heißt „Mieze“.
Einer, für dessen Namen man gar keinen Lehrer braucht, weil er ihn, gern zu nachtschlafender Zeit von sich aus lauthals herumkrakelt, ist unser Haus-Tokeh. Eine Art großer Gecko, der uns den Schlaf raubt und gegen vier Uhr startet, das ist aber ohnehin die Zeit, zu der das Hausmädchen beginnt, Geschirr zu spülen und Wäsche zu waschen.
Wie fast alle Indonesier singt sie gern und – neidlos zugestanden – gut, nur eben ziemlich laut. Wahrscheinlich gewöhne ich mich auch daran bald. Bis dahin stehe ich eben mit dem Hauspersonal auf, mache mir einen Tütencappuccino, setze mich mit dem Vokabelberg auf den Balkon und versuche aus den Geräuschen und Sprachfetzen herauszuhören, was mir vertraut erscheint. „Selamat belajar!“ (Frohes lernen!) ruft die Nachbarin und ihr Lachen verklingt.