Bettlägerige Pflegepatientin mit Pyrenäenberghund am Bett
PflegeJournal

Pflege: Wir kommen mit Windeln und in Pampers gehen wir wieder

Irokesenschnitt unterm VWup-Dach

„Wir kommen mit Windeln auf die Welt und in Pampers gehen wir wieder.“
Meine Kollegin spricht irre schnell, springt abrupt von einem Punkt zum nächsten, regt sich über Fußgänger, Autofahrer, Hundebesitzer und ampelkreuzende Nordicwalkerinnen auf. So, wie sie unseren kleinen Dienst-VW fährt, sehe ich zwar eher uns als Verkehrshindernis, halte aber meinen Mund.


Sie würde gern meditieren, „aber“, sagt sie, „die Zeit rennt.“ Außerdem würde sie, wenn sie geteilten Dienst habe, sofort einschlafen. „Ich hole mir nachher noch schnell eine Salami von der Tankstelle.“ Ohne Punkt und Komma geht es weiter. Nebenbei drückt sie irgendwelche Knöpfe an der Armatur. Dreht das Radio lauter, wechselt den Sender und wendet den Wagen, weil sie an der Einfahrt vorbei gebrettert ist.
Sie ist gerade mal Ende 20 und hat eine Art gemäßigter Irokesenfrisur. Die Tattoos entdecke ich nur, weil ihr Hosenbein während des Kuppelns des Berolino-VWs nach oben rutscht.


„Nachher haben sie mir schon wieder zwei neue Kunden in die Tour geschrieben. Wir müssen heute mindestens anderthalb Stunden mehr einrechnen. Ehrlich, ich mach den Scheiß nicht mehr mit!“
Ihr Tonfall hat sich während der letzten 15 Minuten bei keinem der angerissenen Themen verändert. Entweder ist sie dauerwütend oder glaubt, die Inhalte bedürften keiner Betonung. Multitasking kann sie jedenfalls. Auto mit der Fernbedienung abschließen, den Korb mit Gumminhandschuhen, FFP-Masken und Tablettendosetts unter den Arm klemmen und weiterreden. Tippt, während wir zum nächsten Hauseingang traben, auf dem Handy den „Einsatz gestartet“-Button und mit links spannt sie sich ihre herabbaumelnde Maske über Mund und Nase. Dann klingelt sie kurz und schließt mit Schlüssel 115 die Tür zum Einfamilienhaus auf. Wir sind seit knapp anderthalb Stunden unterwegs, dies hier ist Klientin Nummer vier.


Unser mobiler Pflegeeinsatz startet laut Unterlagen sieben Uhr. Meine Kollegin war, wie sie zu meinem Erstaunen ungerührt preisgibt, wie immer schon eine Stunde früher da.
„Wieso?“ komme ich das erste Mal an diesem Morgen dazu, eine Frage anzubringen.
„Weil wir noch rauchen, die Touren checken, uns auch mal unterhalten wollen oder noch Berichte nachtragen müssen. Und, weil wir, wie morgen auch, den neuen Klienten bereits Punkt sieben Uhr auf die Toilette gesetzt haben müssen. Der ist sonst nicht pünktlich fertig für seinen Transport in die Behindertenwerkstatt.“
In der Küche des Hauses, in dem wir mit unseren halbherzig gesäuberten Schuhen durch zwei Flure getrampelt sind, bereitet ein alter, hutzelig kleiner Mann eine Waschschüssel vor. Meine Kollegin nimmt sie ihm beherzt ab, scherzt mit ihm, fragt, was sie heute schon allen als Kommunikationsangebot serviert hat, nach der Böllerei an Silvester. Und reicht, wie eine routinierte Essensverteilerin in einer Betriebskantine gleich die gewünschte Antworterzählung ihrer eigenen Neujahrsnacht hinterher. An dieser Stelle könnte jetzt eigentlich auch schon mitsprechen. Meine eigene, immer aufs Neue dahergefaselte Vorstellung: „Ich bin die Neue, die hier einsteigen will…“ könnte ich auch vom Band laufen lassen.


Hätte ich den muffeligen Schimmelgeruch im Haus, den intensiven Uringestank in den nur unregelmäßig gewechselten Klamotten des Mannes, der keine Pflegestufe hat, so intensiv wahrgenommen, wäre ich nicht vorgewarnt worden? Ja, wahrscheinlich.
Im Schlafzimmer hat die rundliche, vielleicht Mitte Siebzigjährige sich schon bis auf das korsettähnliche Bustier und die Strumpfhalter entkleidet. Verwundert nehme ich zur Kenntnis, dass sie offenbar in dieser unvorteilhaften Montur geschlafen hat. Meine Kollegin gibt mir per Handzeichen zu verstehen, dass ich mir meine Fragen aufsparen soll und lotst mich und die Klientin in das, für drei Personen viel zu enge Badezimmer. Bei dem hohen Badewanneneinstieg wird mir auch klar, weshalb uns eine Schüssel gereicht wurde.
Der Waschbeckenabfluss ist defekt. Mit geübten Handgriffen und erstaunlich zärtlich seift meine Kollegin um die Hämatome der mehrfach gestürzten Frau Rücken und Arme herum ein. Dann bin ich an der Reihe, mit einem zweiten Waschlappen widme ich mich dem faltigen, wulstigen Unterleib. Immer wieder frage ich, ob es „zu doll“ oder „gut so“ sei. Immer bekomme ich ein dankbares, es sei „alles wunderbar“ zu hören.

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