
Mit Graf Zahl auf Zuckerwerker, Flug-Prototypen und E-Motoren geschaut
Die Rettung ist mit vielen Zertifikaten geschmückt. Über Kuchen, Torten und Semmeln, wie die Bayern ihre Brötchen nennen, und einer Steckdose, hängen diverse Auszeichnungen von Brotsorten oder Backwaren. Erst beim genauen Hinschauen bemerke ich den Unterschied, er liegt in den Jahreszahlen. Meine Hündin Yoshi und ich sind in der hoch dekorierten Hörlkofener “Bäckerei und Konditorei Schauer” nach unseren ersten 52 Kilometern der “Wölfe-Raben-Herdenschutz”-Cargobike -Tour gelandet.

Gestartet waren wir, voll beladen, in Krailling nahe München. Anschließend sind wir durch die bayrische Hauptstadt geradelt, viele Menschen hatten plötzlich ihren Weg mit einem Lächeln fortgesetzt, weil sie die Hündin mit gekreuzten Beinen in ihrem “Yoshibike” entdeckt haben und wir konnten auf dem Weg in einem sehr entspannten Gasthof in Feringasee eine wohltuende, mehrstündige Pause genießen. Da mir dort ein kostenloser Hotspot zur Verfügung stand, gelang es mir sogar, einige Komoot-Offlinekarten für die weitere Navigation herunterzuladen.
Nach einem Abstecher zum Speichersee hatten wir in der kühleren Abendluft dann tatsächlich Wörth erreicht und unsere verbleibende Strecke auf 90 Kliometer reduziert. Neben einer verlassen wirkenden Schreinerei im Unterholz eines Waldrandes hatte ich mein Sekunden-Bundeswehrzelt hochgezogen, die Mückennetze hinter der völlig erledigten Yoshi verschlossen und versucht, mich der Insekten zu erwehren, um wenigstens die wichtigsten Dinge noch zu sortieren.
Um 4.45 Uhr singen laut Vogeluhr, das war mir wieder eingefallen, Lerchen, Nachtigallen und auch Schwalben. Na gut, vielleicht in einem bayrischen Waldstück keine Schwalben. Unabhängig von meinen mangelhaften ornithologischen Kenntnissen war es einfach unfassbar schön, vor allem, als ein Greifvogel einstimmte. Glücksmomente.
Das Cargobike wieder zu beladen, stellte mich vor keinen großen Akt, aber es mit der von mir gewählten Überlänge aus dem Wald hinaus zu bugsieren schon. Entschädigt wurde ich umgehend, das Licht über den Feldern, das besetzte Storchennest auf dem Schornstein, der zwiebelförmige Kirchturm in der Ferne ud Yoshi ausgeruht und gut gelaunt neben mir und dem Bike. Ich versuchte, mich über jeden Hang
Diese kleine Bäckerei und Konditorei in Hörlköfen ist meine Hoffnung an diesem sonnigen 3. Juli2019. Es ist gerade einmal halb sieben, das Thermometer an der noch geschlossenen Apotheke zeigt bereits 23 Grad Celsius und der Ladezustand meines Elektromotorisierten Cargobikes nur noch 1/3 Kapazität. Das machte mir, mangels Erfahrung dann doch etwas Sorge, denn bis zu unseren Freunden in Neuötting lagen noch mindestens 70 Kilometer vor uns. Meine ausgewählte Strecke sei eine mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad und es könne sein, dass ich mein Rad auf einigen Abschnitten würde tragen müssen, warnt fürsorglich die Komoot-App.
Tragen? Das Cargobike samt vollbepacktem Gepäckträger und Anhänger. Keine Chance.
Die zwei Berge, an denen ich als Folge falscher Schalttechnik und zu spät eingeschaltetem E-Motor kläglich versagt hatte, standen mir noch deutlich vor Augen. Schweißgebadet und mit hochrotem Kopf bog ich schniefend und schiebend um eine enge Kurve und glaubte, die Anhöhe erreicht zu haben.
Weit gefehlt, denn das mitleidbekundende Ehepaar, das mich entgeistert anstarrte, wohnte ziemlich genau in der Hälfte des Bonsai-Everests: “Ja, mei, der arme Hund, brauchts der vielleicht was zum Trinken?”
Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass sie mich nicht halb so
mitleidig bedachten wie Yoshi. Vielleicht trauten sie mir mehr zu? Oder
glaubten, mir sei ohnehin nicht mehr zu helfen? Sie wiederrum wunderten sich,
wieso ich ihre verneinend gestellte Frage, ich besäße wahrscheinlich keinen
Motor, mit “doch, doch” beantwortete. Alles in allem gab ich mir, angesichts des
Gepäcks und der noch vor mir liegenden Steigung eine zusätzliche Blöße, indem
ich mich den halb eroberten Hang wieder hinabrollen ließ, von Neuem vor dem
erstaunten Paar Anlauf nahm und…..
erbärmlich scheiterte. Ich wusste einfach
plötzlich die einfachsten Dinge nicht mehr. Sollte ich mehr Power am Anfang
geben oder je nach Anstieg nachlegen?
Yoshi empfand die Tatsache laufen zu dürfen trotz der Mittagshitze als Geschenk und belohnte sich selbst mit einigen galanten Mäuselsprüngen in den Straßenrandstaub. So mühte ich mich wie Sysiphos Schritt für Schritt voran und rechnete im Kopf: Cargobike 30 Kilo, drei Gepäcktaschen auf dem Gepäckträger, schätzungsweise 25, im geschenkten Leichtlaufanhänger sicher noch einmal fünf Kilo Kosmetik, Medikamente und erste Hilfe-Utensilien gestapelt, dazu viereinhalb Kilo Kamerausrüstung, Laptop und Kabelkollektion verstaut und mit den Gummistiefeln, Regenklamotten und Kabelbindern beziehungsweise Sicherheitsgurten vertäut. Bevor ich Yoshi aus ihrem Thron hinauskomplimentiert hatte, schob ich also 65Kilo plus etwa 32 Kilogramm Hund. Nicht zu vergessen mein Eigengewicht, das ich mit 56 Kilo angeben würde.
Erschwerend, vermutete ich, kam mein ungeübtes Handling des Elektromotors in Kombination mit der Gangschaltung hinzu. Sollte ich beim Hinzuschalten der Power treten oder lieber erst die Shoimano-Schaltung herabsetzen? Oder umgekehrt? Während Yoshi anfangs noch als Gallionsfigur punktete und ihre Ohren lustig im Wind flatterten, wankten wir wie eine Galeere unter einem völlig betrunkenen Steuermann.
Letzten Endes würde ich meine Begleiter und Fahrrad-Designer-Jungs von VeloLab Bremen fragen, sobald ich wieder weniger zitternde und freie Hände zur Verfügung haben würde. Und dann war ich auf einmal oben, schoss, kaum saß ich auf dem Sattel, einfach die gesamte Rechnerei in den Wind und genoss den sich selbst aufladenden Motor beim Bergabrasen mit immerhin 37 Kilometer pro Stunde.
Inzwischen hatten meine Freunde Katrin und Klaus im nunmehr noch 40 Kilometer entfernten Neuötting geschrieben. Wollte ich eventuell irgendwo auf der Strecke abgeholt werden?
Ehrgeiz? Nunja. Vielleicht wäre es ein Kompromiss, wenn jemand Yoshi und einen Großteil des Gepäcks in Mühldorf am Inn übernehmen könnte und ich die Vorzüge eines Ebikes auf den letzten 23 Kilometern würde unbeschwert genießen können?
Die Aussicht erbaute mich. Inständig hoffte ich, die Powerbank, die das iPhone wegen der ständig genutzten Navigation via Komoot und Google Maps oder Magic Earth bereits hatte schon vier Mal aufladen müssen, hielte auch noch die verbleibenden zwei oder drei Ladegänge durch.
Wenn dann noch per Whatsapp nett gemeinte Spaßvideos von
Freunden gesandt werden, liegen meine Nerven wegen der Fülle an unerwünschten
zusätzlichen Energie- und Internetkapazitätsfressern schon mal blank.
Nun
türmt sichen ja aber dennoch diese 20 von 40 Wegkilometer vor uns und wollten
bewältigt werden. Ein Blick auf Apple Health ließ mich schwanken zwischen Stolz
und Zweifel, wenn ich doch auf einer Radreise ganze 7,3 Kilometer oder 12.810
Schritte getätigt hatte, stimmte irgendwas mit meiner Planung nicht? Ohne Stolz
und lediglich mit erwachendem Vorurteil ließ mein Blick auf die zwei mageren
Balken des E-Motor-Akkus mich ratlos anhalten.
Meine fehlgeschlagenen
Versuche, den Berg zu bezwingen, hatten das Glücksgefühl eines vor wenigen
Stunden großzügig erkauften, fast vollständigen Ladezustandes aus der Konditorei
erheblich schrumpfen lassen.
“Schau mal, der Wauwau hat es aber gut, der wird spazieren gefahren!” Von einer Terrasse grüßte mich eine junge Frau mit ihrem Sohn auf dem Schoß, sie erschien mir um ein Vielfaches freundlicher und gelassener, als ich mich gerade fühlte. Also drehte ich ein paar hundert Meter weiter um und lernte Carola Violetta mit ihren beiden entzückenden Söhnen kennen, bekam Tee und eine Steckdose serviert und lernte wieder einmal, mich nicht selbst mit unsinnigsten Sorgen zu stressen.
Unser Gespräch verwandelte sich in einen fröhlichen Austausch allerlei Geschichten, unterbrochen vom Staunen der beiden Kleinkinder über jeden vorüberknatternden Trecker. Schaute ich mit Graf Zahl aus der Sesamstraße auf diese Stunden vom Erwachen im Zelt und die darauf folgenden Stunden, könnte ich spätestens jetzt fünf intensiver geführte Gespräche anführen, und je nachdem, wie der Herr Graf mich so gewähren ließe, gäbe es noch mindestens 11 smalltalks zu addieren.
Zu den spannenden Unterhaltungen rechne ich unbedingt die Unterhaltung mit dem Entwickler eines E-Motorbetriebenen Segelflugzeugs. Seinem schüchternen, ein klein wenig neidvoll gefärbten Bekenntnisses, dass er sich meine Lebensform, einfach alles zu verkaufen und sich mit einem Zelt behütet aufs Rad zu schwingen, schon immer für sich optioniert habe. Nur leider, seine Frau…Bedauerndes, resignierendes Achselzucken. Er sei Schreiner und Architekturjournalist gewesen, beantwortet er meine Fragen und zunehmend schwingt sich eine freudigere Stimmung in seine Berichte. Letzten Endes, mein Akku hatte immerhin eineinhalb Stunden an der Bäckereisteckdose auftanken dürfen, holte er mit einem unnachahmlichen Kleine-Jungen-Strahlen den Prototypen eines Segelfliegers aus seinem Auto und erklärte mir jede Naht des Korpus. Fünf Jahre hatte der Mann dafür ungezählte Stunden, zusammen mit seiner Frau und Freunden an diesem Flugobjekt getüftelt. In weniger als drei Wochen, so verkündete er während unseres herzlichen Abschieds, gäbe er den Startschuss zum Lotsenflug.
Womit der Modellflieger eigentlich angetrieben würde, rief ich noch hinterdrein: “Mit einem E-Motor natürlich!”


3 Kommentare
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Annette
Spannender humorvoller Reisebericht, man hat das Gefühl, dich und Yoshi zu begleiten. Und die tollen Fotos !!
Carola
dankeschön, und herzlichste Grüße in den Norden, den wir irgendwann auch wieder erreichen;=)