Socken ausgefallene Fußbekleidung shoeproject
Reisen,  shoe stories

Indonesien: Sprachwettbewerb in Uniform und Plastikschlappen

The shoe project: erzählt Geschichten von Hilfsbereitschaft und Freundschaften am bunten Faden herrenloser Schuhe

Reisen ist wie Fliegen mit einem Doppeldecker. Die oberen Flügel tragen meine Freunde, das untere Paar ich selbst.
Alles begann 2019 mit einem Kurz-Job auf Sizilien. Dass ich mit meiner Hündin Yoshi ein ¾ Jahr in Italien, Deutschland und mit einem extra designten Cargobike auf dem Donau-Radweg unterwegs sein dürfte, ahnte ich nicht. Geplant war es erst recht nicht.
Weil mir auch diese Reise so viele inspirierende Begegnung mit hilfsbereiten, besonderen Menschen geschenkt hat, möchte ich gern mit den erzählten Geschichten etwas zurückgeben.

„Selamat pagi.“ Kichern die Mädchen in braunen Schuluniformen laut und winken zu Helen und mir herüber. Vor genau einer Woche bin ich für meinen drei Monate andauernden Schulbesuch gelandet und hoffe, ich kann nach dem erfolgreichen Abschluss mit den anderen Volunteers unseren Einsatz als Peace-Brigades-Menschenrechts-Aktivistinnen in Aceh antreten.
Wir grüßen zurück und schlendern gerade in Richtung „Wisma Bahasa“. Unsere Sprachschule liegt in einer ruhigen, kleinen Nebenstraße Yogyakartas. Überdacht von dichten Palmenwedeln lädt das rosafarbige Tor mit dem weißen Dachfirst in seinen schattigen Innenhof. Eines der Mädchen wechselt die Straßenseite, sie zieht ihre Freundin an der Hand hinterdrein. Schüchtern fragen sie in gebrochenem Englisch wie aus einem Mund einstudiert, ob wir heute Nachmittag Zeit hätten. Verblüfft schauen meine Kommilitonin und ich uns an: „Yes, why not?“

Sprache ist ein nicht leicht zu reitendes Pferd

Irritiert gibt die Mutigere der beiden zu verstehen, dass sie mit einer solchen Antwort nichts anfangen kann.  „Warum nicht?“ ist im Indonesischen, überhaupt im asiatischen Sprachraum eine verpönte Wendung. Weil man sich höflich mit dem Passiv und möglichst keinen Verneinungen, auch keinen doppelten durch Kommunikationsdschungel hangelt. An meinem ersten Tag in der Millionenstadt war ich mit einer, am Ende weinenden Indonesierin stundenlang durch den Monsun
gewatet, weil sie einfach nicht zugeben konnte, dass sie den Weg nicht kannte.
„Yes, we do have time.“ Verbessere ich unsere Aussage.
Erleichtert nehmen sich beide wieder an den Händen und schaukeln damit hin und her. „Then we would invite you. Today. You judge us. English contest. In our school. Not far.“ Ich fühle mit ihrem klopfenden Herzen, kann mich gut an meine eigene Aufregung erinnern, als ich in einem Budapester Restaurant eine Holländerin am Nachbartisch ansprach, ob sie eine Brieffreundschaft mit mir beginnen möchte. Ich würde so gern richtig Englisch lernen. Das sei in der DDR nicht möglich. Hatte ich stockend versucht, mit meinem sozialistisch geprägten Schulvokabular zu verdeutlichen. Es hatte geklappt, damals.

Überraschender Nachmittag mit einem kleinen Schuhproblem

Schulklasse Band Wisma Bahasa, Sprachschule, Yogyakarta, Indonesien, Eingang

Jetzt also waren Helen, die als Engländerin natürlich keine Probleme mit ihrer Zusage hatte, und ich als Richterinnen in einem Sprachwettbewerb gefragt. „Na halleluja.“ Denke ich und schon besitzen wir buntbedruckte Visitenkarten mit der Anschrift der Mädchenschule. Flugs haben sich unsere beiden Gastgeberinnen wieder in ihre Mitschülerinnenreihe eingefädelt und ziehen fröhlich schnatternd von dannen.

Erst kurz bevor Helen mich nachmittags in meiner Gastfamilie abholt, fällt mir mit Schrecken ein, dass ich keine passenden Schuhe für einen Festakt besitze. Meine Lederschuhe habe ich gestern in der Shoppingmall zum Schuster gebracht. Es bleibt mir nichts andres, als in meinen FlipFlops zu erscheinen. Wie peinlich. Dieser Umstand lässt sich kaum vertuschen, zwar habe ich meine Anzughose und ein weißes Hemd, aber die Schuhmode ist dennoch auffallend unpassend.

Zu spät. Selbst, wenn wir eine Rikscha finden, kommen wir gerade rechtzeitig nach Purworejo.

Ohrenbetäubender Lärm empfängt uns, als wir die angenehm kühle Aula betreten. Die circa 50 Schülerinnen in schwarzen Kopftüchern werden gesäumt von einer Riege Männer, deren ordenbehangenes Auftreten sehr militärisch und eckig wirkt. Jeder hat offenbar ein ganzes Arsenal an Medaillen und Orden, die alle an den Uniformen klimpern. Manche trumpfen noch mit fransenbehangenen Epauletten auf. Alles in allem sehr imposant. Umso deutlicher ist mir meine peinliche Fußbehausung. Höflich, wie Asiaten sind, lässt keiner der Anwesenden durchblicken, ob jemand meiner Schuhe gewahr ist.

Zum Glück richtet sich ohnehin nach mehreren langatmigen Ansprachen durch Bürgermeister, den Imam, den Ortspolizisten und den Schulrektor die Aufmerksamkeit auf die Vortragenden. Gedichte, Lieder, sogar ein Tanzstück mit englischem Rap wird geboten. Egal, wie gut, außerordentlich oder eher noch ausbaufähig eine Rezitation ist, es wird immer frenetisch geklatscht. Zwei Stunden später sind Helens und mein Urteil, unsere Bewertung gefragt. Dankbar, dass meine muttersprachlich perfekte Freundin das übernimmt, versuche ich, meine Füße möglichst lange hinter die Stuhlbeine geklemmt zu verbergen. Doch dann, als alle beklatscht, belobt und froh aufbrechen wollen, übernimmt eine Art Oberfeldwebel das Mikrofon von Helen und beginnt zu singen. Aber es ist nicht seine Stimme, die uns vor verkniffenem Lachen und unterdrücktem Losprusten fast hintenüberkippen lässt. Es ist der Text.

Ballerinaschuh am steinigen Strand
@Carola Güldner

Höflichkeit ist in Indonesien immer geboten, egal, unter welchen Umständen

Zunächst glaube ich noch einen Irrtum oder dass ich sein Englisch nicht so gut verstehe, aber er singt wirklich und wortwortwörtlich von seinem „cock“.

Ehrung nach allen Seiten

Wir hoffen beide inständig, ihm ist nicht bewusst, dass diese Vokabel mehrere Bedeutungen trägt. Und dass alle anderen Anwesenden nichts von einem Schwanz, sondern seinem Hahn erfahren.

Zu guter Letzt wird mir jede Chance auf die Nichtsichtbarwerdung meiner Plastikschuhe genommen, denn wir werden nach vorn auf die Bühne gebeten. Feierlich bekommen wir jede einen, mit unserem Namen gravierten 2-Kilo-Stein und eine Urkunde. Betreten und trotzdem glücklich schlurfe ich, umringt von den herzlichen Mädchen, Lehrerinnen und überhaupt jeder Menge – ausgesprochen freundlicher Menschen in Uniform oder ohne – hinaus in die Abendsonne.
Einen gravierten Felsbrocken im Arm.

Fortsetzung der shoe-stories: Glücklich, dass ich damals im Mai 2004 nicht vorhersehen konnte, was die Menschen in Indonesien und vielen anderen Ländern erwarten würde.

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