Journalismus

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Ein halbes Jahr nach der Flut leben die Tsunami-Opfer in Aceh noch immer in Notquartieren oder Zelten.
Die Zeitenspiegel-Autoren Philipp Maußhardt und Carola Güldner für den „Tagesspiegel“.

Sarifs Augen glitzern stolz: „Ich habe vorher noch nie ein Haus gebaut.“ Jetzt sitzt er mit seiner Mutter auf dem Fußboden einer Hütte, der Regen schlägt auf das Wellblechdach und nur an wenigen Stellen tropft es herein. Holz, Bleche, Nägel – alles, was er zum Bau des Hauses benötigte, hat Sarif in den Trümmern der vom Tsunami zerstörten Stadt Banda Aceh gesammelt. Dort, wo einmal das Haus seiner Eltern stand – und wo alle seine drei Schwestern in den Fluten ertrunken sind.

Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe zählt Sarif zu den ganz wenigen Glücklichen, die wieder ein eigenes Dach über dem Kopf haben. Obwohl die Welt Hilfe in Milliardenhöhe versprochen hatte, leben rund eine halbe Millionen der überlebenden Opfer im besonders stark verwüsteten Aceh nach wie vor in eilig aufgebauten Notunterkünften oder in Zelten. Das Wiederaufbauprogramm auf Sumatra kommt nicht in Gang. Stattdessen verzetteln sich die Hilfsorganisationen in endlosen Meetings und bürokratischem Wirrwarr.

Das Stadtbild von Banda Aceh, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, gleicht noch den Tagen nach der Katastrophe vom 26. Dezember des vergangenen Jahres: Zwar ist der Leichengestank längst verflogen, die Ruinenlandschaft der am Meer gelegenen Stadtteile aber ist noch immer menschenleer. Bulldozer haben die Fläche etwas eingeebnet und hier und dort ragen noch stehengebliebenen Mauern wie Ausrufezeichen zum Himmel. Nur ganz langsam beginnt sich neues Leben zu regen: Mal steht ein Zelt mitten im Nichts, mal hört man Hämmern von einer entfernten Baustelle. Nur wer sich selbst hilft, haben die Einwohner schmerzhaft erfahren müssen, kommt voran.

In den noch stehen gebliebenen Quartieren der Stadt haben sich hunderte von Hilfsorganisationen in Büros, Wohnhäuser und Villen eingemietet – zu teilweise völlig überhöhten Preisen. Mit ihren neuen Geländewagen fahren die Organisationen durch die Straßen der Stadt – immer auf dem Weg zu einer wichtigen Sitzung. „Die Wut der Einwohner wächst von Tag zu Tag“, sagt Stefan Keller, ein Deutscher der schon seit Jahren in der Gegend lebt und der verstehen könnte, „wenn bald die ersten Steine fliegen.“

„In den vergangenen drei Monaten ist hier kaum etwas passiert“, sagt ein Helfer einer deutschen Organisation, die er nicht genannt haben möchte. „Dauernd wechselt das Personal und kaum hat sich jemand eingearbeitet, wird er durch einen andern ersetzt. Der muss sich dann erst wieder einen Überblick verschaffen.“ „Assessment“ und „Meeting“ heißen die Losungswörter, was bedeutet: Es werden Daten gesammelt und Listen um Listen erstellt. Die Papierproduktion funktioniert hervorragend.

Im Büro des „Technischen Hilfswerk“(THW) gleich gegenüber der Deutschen Botschaft gelegen, sitzt Projektleiter Ralf Pahlmann und verteidigt das bisher Geleistete: „Wenn man bedenkt, dass nach dieser Katastrophe hier niemand verhungern musste und auch keine Seuchen ausgebrochen sind, dann ist das schon ein Erfolg der internationalen Hilfe.“ Seine Organisationen hat sich vor allem um die Aufbereitung von Trinkwasser bemüht und inzwischen tausende von Brunnen gereinigt. In einem Dorf an der Ostküste der Insel wollen Pahlmann und seine Truppe demnächst mit dem Bau von 150 einfachen Holzhäusern beginnen.

Ähnliche Planungen haben auch andere Hilfsorganisationen – allein: sichtbare Hütten oder Häuser können sie noch keine vorweisen. Weil jede Organisation ihre eigenen Baupläne entwickelt, herrscht inzwischen ein heilloser Streit unter den Verantwortlichen, welche Art von Behausungen die richtige ist. Holz oder Stein? Erdbebensicher oder nicht? Auf Stelzen oder auf Fundamenten?

Traditionell bauen die Acehnesen ihre Häuser aus Holz und auf Stelzen – als Schutz gegen das häufige Hochwasser. Etwa 200 Jahre alt ist das Haus von Wina, das als einziges seiner Umgebung der Flutwelle Stand gehalten hat. Wie ein übergroßes Insekt ragt es auf 32 Stelzen über die Erde. Wina führt über eine Treppe hinein in ein Reich aus Holz- und Lichtarchitektur.
„Am Tag des Bebens“, erzählt sie „wurde unser Haus zu einer Rettungsinsel“. Die junge Frau schildert, wie immer mehr Menschen sich aus den Fluten heraufzuretten versuchten: „Sie schrien, riefen um Hilfe, manche wurden vorbei getrieben, ohne sich festhalten zu können.“ Wina versuchte, Leute hinaufzuziehen und einmal habe sie die Hand eines
Toten erwischt. Am Ende drängten sich 300 Leute auf den 85 Quadratmetern, aber sie waren gerettet.

Ein solches Haus auf Stelzen hätte GTZ-Bauleiter Hanns Polak gerne als Musterhaus für den Wiederaufbau entworfen. Polak kämpft seit Monaten um eine bessere Koordination zwischen den Hilfsorganisationen und stellte allen seine Baupläne zu Verfügung. Das Interesse daran war bislang gering: „Die wollen alle ihr eigenes Süppchen kochen“, ist seine bittere Erfahrung.

Am Durcheinander hat die indonesische Regierung auch ihren Anteil: Viele Monate verstrichen ungenutzt, ehe sie sich zu der Entscheidung durchrang, dass in der verwüsteten Zone auch in Zukunft wieder gebaut werden darf. Nun liegen die Bebauungspläne („Blue Prints“) vor, die nur einen schmalen Schutzstreifen von wenigen Metern zwischen Küste und Bauland vorsehen.

Der Bürgermeister des völlig zerstörten Stadtteils Lamkuneuh steht vor einem hüfthohen Rohbau aus doppelwandigen Ziegeln. „Hier entsteht ein Musterhaus“, sagt Zuliman und hält einen Zettel in der Hand auf dem geschrieben steht, dass sein Stadtteil von der deutschen Organisation Misereor aufgebaut werden soll. Gesehen hat er zwar noch keinen Mitarbeiter, doch bedankt er sich schon jetzt bei jedem Deutschen, der ihn und die überlebenden 265 Menschen seines Stadtteils besuchen kommt. 1350 Menschen lebten vor dem Tsunami in Lamkuneuh. Gerade haben die Männer mitten in die Trümmer einen Gebetsraum aus Holz gebaut und feiern den Geburtstag des Propheten Mohammed. Es ist das einzige Gebäude weit und breit. Einige Menschen haben sich in Zelten um den Holzbau herum eingerichtet.

Zuliman ist ein freundlicher Herr, er will nicht klagen. Er drückt sich diplomatisch aus. „Wir wollen nicht den Fisch, wir wollen lieber die Angel“. Er will damit sagen: Gebt uns die Möglichkeit, uns selbst zu helfen, unsere Häuser in Eigenregie zu bauen und gebt uns vor allem Startkapital, um eine neue Existenz aufzubauen. Rund sechs Millionen Euro umfasst allein das Nothilfeprojekt der Bundesregierung, das sie über die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) in Indonesien abwickelt. Mit dem Geld wurden mehrere Barracken-Camps aufgebaut und eingerichtet, mehrere Krankenhäuser und Schulen wieder instandgesetzt. 800 Fischern will die GTZ zudem bis Ende des Jahres ein neues Boot zur Verfügung stellen, damit sie wieder einen Broterwerb haben.


Eine riesige Menge an Spendengeld ist bislang von den Organisationen selbst verschluckt worden. Der finanzielle Aufwand, Mitarbeiter aus der ganzen Welt in die Krisenregion einzufliegen und nach westlichem Einkommensniveau zu bezahlen, taucht zwar in keiner Statistik auf, wird aber in jeder Spendenbilanz als „Soforthilfe“ aufgeführt. Den vielen privaten Einzelspendern wird dagegen der Kauf von Geländewagen oder die Bezahlung teuerer Mieten kaum am Herzen gelegen haben.

Viele der kleineren Hilfsorganisationen haben sich aus Aceh schon nach wenigen Wochen wieder zurück gezogen. Geblieben sind die großen – und manche Helfer, die offenbar sich selbst am meisten helfen. So prahlte der Vereinsvorsitzende des Hamburger Vereins FIG (Förder- und Interessengemeinschaft Indonesien“) Yves Dantin, er habe von der Bild-Zeitung zwei Millionen Euro an Hilfsgeldern zugesagt bekommen, mit denen er auf der kleinen Insel Pulah Weh Häuser wieder aufbauen und Fischern neue Boote beschaffen werde. Hoch erfreut räumte die Inselregierung dem großzügigen Deutschen ein Gebäude, in dem er seither wohnt. Doch Dantin, der eigentlich Klaus Jürgen Biesenbach heißt, verteilte bislang vor allem leere Versprechungen. (Eine später entstandendene Dokumentation sehen Sie hier).

Yves Dantin (mit Cap) – von der Betrügerorganisation FIG Indonesia

Die überlebenden Bewohner von Lamjabat im Nordwesten Banda Acehs sind inzwischen fast alle wieder in ihr völlig zerstörtes Dorf zurückgekehrt. Keiner will noch länger in den Camps darauf warten, bis sich die Organisationen über Baupläne, Kosten und Hausdesigns geeinigt haben.

Aus einem der Zelte dringt laute Techno-Musik herüber. Nachbarn kommen, sie bringen Wasser und Zigaretten mit. Ein 22jähriger Witwer serviert Biskuits in Fischform. Aus Brettern, Zeltplanen und Wellblechen haben sie sich ihre armseligen Notquartiere zusammengebaut oder –gebunden und nun hocken sie davor und fragen sich immer wieder eines: Wo sind nach einem halben Jahr all die Gelder, wo sind die versprochenen Häuser?

Yahdi, der von den Bewohnern zum Vorstand eines Kommittees gewählt wurde, das sich um Hilfe für Lamjabat kümmern soll, sagt: „Gelegentlich schaukeln Geländewagen mit verdunkelten Scheiben über die zerstörte Straße. Dann steigen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder Journalisten aus, sammeln Daten, machen Pläne, Fotos und manche auch Versprechungen. Eine Organisation wollte 300 Häuser im Nachbardorf aufstellen, ein halbes Jahr ist das her und es steht gerade eines davon.“


Romi zieht bedächtig an seiner Zigarette, dann entspinnt sich zwischen den Bewohnern eine kleine Diskussion: “Ich habe Angst, dass wenn wir zuviel verlangen, beim nächsten Tsunami niemand mehr hilft,“sagt Romi. Manche murmeln zustimmend, bis Linda aufsteht, mit einer ausladenden Bewegung über die Trümmerlandschaft zeigt und wütend ruft: „So ein Quatsch, sie helfen doch auch so nicht.“

Journalistin, Fotografin, Hundeteamleiterin

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