
Gesprächsfetzen und Zettelwirtschaften
Auf Sizilien ist man immer irgendwie gleich mittendrin: Auf den Märkten im lauten Gewimmel, den herzlichen Umarmungen und Begrüßungen, in den Kirchen in den Gebeten, in den Supermärkten in den Schlangen und auf den Dorfstraßen in Gesprächen, von denen ich zwar nicht unbedingt das Wörtliche, wohl aber das Freundliche verstehe.
Und auf den raren Parkplätzen in Catania in einem seltsamen Milieu selbsternannter Einweiser. Im Zentrum Catanias wollte ich mit einer Freundin aus Berlin auf einem kleinen Innenhof das Auto abstellen, nachdem wir es durch zahlreiche, engste Pflastersteingassen manövriert hatten. Kaum hatten wir eine Lücke auf dem schattigen, mit PKW,- Moped- und Obstkarren verstellten Platz entdeckt, kam uns eine beleibte Frau in einem wallenden Kleid entgegen, lotste uns von der offiziellen Parkfläche so herrisch auf einen Seitenstreifen, dass wir keinen Widerspruch leisteten und klemmte uns sehr autoritär einen Zettel unter den Scheibenwischer.
Wibke, die als Filmemacherin gewohnt ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, stieg aus und wedelte empört mit dem unbedruckten Papierfetzen vor der Nase der selbsternannten Parkplatzwächterin herum und warf dann, ohne weiter auf deren expressiven Gesten zu achten, ganz profan Geld in den Ticketautomaten.
Dass wir uns nicht auf ihr Schutzamulett verlassen möchten, bringt die Frau sichtlich aus der Fassung, erhobenen, geschüttelten Hauptes wallt sie von dannen. Wir würden schon sehen, dass wir in Catania nicht ohne ihren explizite Hilfe zurechtkämen.
Die, nach Palermo zweitgrößte Stadt Siziliens ist nicht nur wegen der abwechslungsreichen Gebäude, ihrer vielgesichtigen und abwechslungsreichen Geschichte so spannend, sondern eben auch wegen der eigenwilligen Alltagsorganisation ihrer Bewohner. Mittenmang zwischen Palazzi, Kirchen, verwinkelten Wohnhäusern, Villen, zwischen Heiligenstatuen, Putten, Marionetten, Masken, Magnetsouvenirs, Obstwagen, Bars, Restaurants und Kaufmannsläden findet uns ein beleibter, bärtiger und übers ganze Gesicht grinsende Verkäufer von Krippenfiguren. Er verwickelt uns, als er sieht, wie wir mit Google Maps um die Adresse eines Fischrestaurants ringen, weil der Internetzugang uns grad im Stich ließ, in ein üppiges Gespräch, das mir mit seiner Themenvielfalt vorkommt, als sei ich an einem Buffet gelandet. Soeben hat er einen Kurzabriss der Hafenstadt ausgebreitet, da sind wir auch schon in Berlin, den Folgen des Zweiten Weltkrieges, um dann in einem Satz bei seinen Verwandten in der sizilianischen Provinz zu landen. Alles in einem wilden Gemisch aus Italienisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Portugiesisch. Ebenso zusammengewürfelt erscheinen mir die Auslagen in seinen Schaufenstern und im Geschäft selbst: ganze Krippenhöfe samt detailgetreuen Bauern, Engeln, Eseln, Hühnern und Heiligen sind neben Modellburgen, einer Art Eisenbahnmodellage und diversen Miniaturwaffen ausgelegt und mit Preisen versehen.
Wir bedeuten ihm in einer der wenigen Atempausen, dass wir kurz vorm Verhungern sind und fragen, ob er nicht ein gutes Fischrestaurant empfehlen könne. Seine mimische Antwort könnte sich mit Charlie Chaplins Stummfilmkunst messen, beherzt nimmt er uns an die Hand, gestikuliert und erklärt, er werde uns vorbeiführen an all den schlechten, schon am Geruch zu identifizierenden, auf gar keinen Fall empfehlenswerten Stuben. Dabei hält er sich die Nase zu, rümpft selbige und stolpert fast in seiner Theatralik. Und geleitet uns wenige hundert Meter ums Eck, klopft energisch an das noch geschlossene Lokal, ruft so laut und lange, bis der Koch freundlich lächelnd in der Tür erscheint. Auf dem Weg habe ich kein einziges anderes Restaurant bemerkt, aber seis drum, bei einem solch aktiven Marketing und Konkurrenzausschluss kann es hier nur gut sein.
Verlegen bittet der Koch uns, noch ein halbes Stündchen in einer Bar einen Drink zu nehmen, damit er seine Tische noch decken und das Lokal öffnen kann. Unser Obelix reiht uns entschlossen auf dem engen Gehsteig hinter sich ein, als seien wir seine Gänse und führt uns den Weg zurück, und schwupp, sind wir wieder vor seinem Laden, kreuzen die Hauptstraße zwischen Mofas, Bussen, elektrobetriebenen Touristenbahnen und finden uns in einer kleinen Bar wieder, deren Inhaberin er natürlich auch mit Küsschen begrüßt und uns zu ihren treuen Händen überlässt. Natürlich vergewissert er sich vorher mehrfach, ob es uns wirklich gut geht und ob wir ohne seine Hilfe zum Restaurant zurückfinden, ohne uns von den imaginären, miesen, stinkenden Imbissbuden einfangen zu lassen. Auch bei unserem Cappuccino und dem Prosecco involviert uns ein freundlicher Cataner in seine Weltsicht. Sozusagen ohne Redepause pilgern wir zurück, werden vom Koch und fünf Kellnern in das fünf Vierertische umfassende Fischstübchen geleitet und sind am Ende zwar vom Essen nicht übermäßig begeistert, aber ungemein inspiriert von den Gesprächen. Das Auto nach unseren langen Spaziergängen in den verwinkelten Gassen wiederzufinden, war überraschend leicht, was in der übersichtlichen Architektur der großen Hauptstraßen begründet lag.
Auch ohne sizilianisches Schutzschild wartete das Auto samt Reisegepäck unbeschadet, genauso wie sich all die Warnungen vor regelmäßig ausgeraubten Touristenrucksäcken oder Handtaschen sich in keiner Form bestätigten. Und das, obwohl oder vielleicht grad, weil Wibke die meiste Zeit mit offenem Reißverschluss durch Catania gepilgert ist.

