
Für irgendwas wird es schon nützlich sein
Radreise nach Schweden im Winter? Wieso denn nicht? Mit einem Kangalmix und einer Pyrenäenberghündin fast ohne Geld in einem uralten Polo durch Deutschland reisen, krieg ich hin. Mit demselben 295.000 Kilometern-Tacho von Hamburg nach Sizilien und durch halb Italien zurück: aber immer. Ich neige, zu meinem eigenen Glück und Selbstverantwortung nicht zu großartigen Denkakrobatiken. Höchstens, wenn es um Lebensphilosophien geht, nicht aber, wenn mich Ideen begeistern und ich die Planung überspringe und zur Tat schreite. Wobei die Gangart nicht gerade majestätisch, sondern eher mit Kästchenspringen beschrieben wäre.
Jetzt sitze ich nach einem denkwürdigen Tag in Ernstbrunn bei “Espresso-Doris”. Gegenüber die geschlossene Pizzaria Speranza, zu der mich google maps eigentlich führen sollte, um den fast leeren Akku und meine Seele aufzutanken.
Als ich mich – vor Wochen im Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn mit Max A. Rossberg, Spezialist in Sachen Herdenschutz und „lets go wild“, per Mail verabredete, saß ich einem fatalen Computerfehler auf. Manchmal denke ich, Karteikarten sind eine probate Alternative zur fehleranfälligen Googelei. Irgendwie rutschte Max mir nämlich in die falsche Schublade. Ich ging die ganze Zeit davon aus, am Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn hätten sie eine Herdenschutzabteilung. Geflissentlich übersah ich den Mail-Adressanhang und Max Hinweise auf die Berge erfüllten sich heute ausreichend. Für meine Akku-Cargobike-Verhältnisse hatten wir genug Steigungen.

In Etappen, in denen ich mich mit Yoshi und dem VeloLab Bremen Cargobike voranbewegte, hielt ich den Kontakt zu, dem immer mit “Wild regards” unterzeichnenden Max. Und arbeitete mich voran, ein wichtiges Etappenziel: WSC Ernstbrunn im dort ansässigen Wildpark. Und weil ich glaubte, der wilde Max informierte im Vorfeld die anderen MitarbeiterInnen und zahlreichen StudentInnen, vertraute ich einfach darauf, dass ich ankäme, irgendjemand schon eine Hütte für uns freigemacht habe und ich an all diesen spannenden Projekten teilhaben dürfe.
Gestern Abend – die Strecke Tulln-Wien konfrontierte mich mit einer, ausgeblendeten Tatsache: Städte haben ganz sicher ihren Charme, aber die Haltung der Bewohner ist eben meist doch eine andere als die von Provinzlern.. Es geht nicht um Wertung, nur eben, auf den 470 Kilometern Radweg bisher hat nicht einer, weder Autofahrer noch Radler sich über Yoshibikes Tempo 30 aufgeregt. gestern dann aber, Yoshi hatte sich im Cargofrachtraum übergeben und ich versuchte, auf der zweispurigen Radlerautobahn straight to Wien am Rand die Decken zu säubern.
Einer dieser verbissenen rennradreitenden BeissschienenZahnarztklienten brüllte im Vorüberpreschen, ob ich wohl keinen besseren Platz habe finden können. Nein, offensichtlich nicht.
Internetkarten und Satellitenaufnahmen haben erhebliche Vorteile. Die haben mir im Zusammenspiel mit Eingebungen schon in Italien wunderschöne Olivenhainbetten oder Toskanabergretterinnen beschert.
Deshalb habe ich – unerwartet schnell am Wiener Ortseingang angelangt, die Maps nach unbebauten Feldern abgesucht und wurde rund um die “Höhere Bundeslehranstalt und Bundesamt für Wein- und Obstbau” reich beschenkt. Ich suche ja immer nach Feldern, Waldrändern und brauche vor allem Nischen, wo das Zelt und das Rad so abgestellt werden können, dass es nicht auffällt. Schön wäre auch ein Ort abgelegen von Bundesstraßen, Baustellen und Eisenbahnschienen. Und dann muss es aber auch am Morgen so befahrbar sein, dass ich rückwärts wieder hinausrangieren kann mit meinem long vehical. Gestern dann wusste ich schon beim Warten an Tisch und Bank-Wandererkreuzung, dass ich nur bis zum Dunkelwerden warten würde müssen, aber dann nicht lang suchen müsste. Ein kleiner, feiner Abhang inmitten von Büschen, Zelt aufgestellt, herrlichste Temperaturen, auf die aufblasbare Isomatte verzichtet. Yoshi hatte sich schon halb in den Schlafsack gekuschelt, ich rutschte einfach hinein und die drei schreckenden Rehe im Maisfeld nebenan störten uns kaum. Das Erwachen zwischen 4 und 5 Uhr mit Sonnenaufgang und Vogelzwitschern ist einfach unbeschreiblich. Ich träumte von der Szene, wie Egon Schiele Hunde mit Leckerli anlockte, um sie dann an der Rute herumzuwirbeln und zu zerren. Das hatte seine jüngere Schwester Gerti im Interview mit der texanischen Kunsthistorikerin Allesandra Comini erzählt. Ich hatte es bei meinem Besuch im Tullner Schiele-Museum gehört, vor allem aber war ich fasziniert vom Engagement der, damals 21-jährigen Kunstgeschichtsstudentin Comini gewesen. Sie hatte sich ein Auto gemietet und fuhr alle Orte an, die in Schieles, nur 28 Jahre währendem Lebens eine Rolle gespielt haben. Mit einem, für heutige Verhältnisse riesigem Aufnahmebandgerät hatte sie Interviews mit Zeitzeugen wie der Schwägerin und besagter jüngerer Schwester aufgezeichnet.
Weshalb es so unglaublich angenehm still gewesen war am Rande der österreichischen Hauptstadt? Ich hatte neben dem örtlichen Friedhof gezeltet. Entspannt ging es weiter, denn neben einem niederösterreichischen Dorf erwarteten mich ganze sieben freie Steckdosen, gespeist mit Solarenergie des Kindergartendachs. Musterungen einer wohlmeinenden Kindergärtnerin ertrug ich, dann durfte ich die Toilette benutzen und sogar auf der Bank im Schatten etwas ausspannen.

All das führte mich – trotz Hitze und Anstiegen – so entspannt Richtung Ernstbrunn, dass ich im Kopf schon den Blogbeitrag fertig hatte, wie easy der E-Motor und ich sogar an Bergen ein gutes Team bildeten.
Und dann…wie aus der eigenen Welt gewürfelt oder als ob ich meine eigenen
Überzeugungen auf den Faustschen Schemel gesetzt und ihnen eine Pudelfrisur
verpasst hätte: Nix ging mehr.
Angekommen im Wildpark Ernstbrunn und
festgestellt, dass ich
8,50 Euro Eintritt für einen noch 30 Minuten geöffneten Park würde zahlen müssen.
Der Fahrradakku 1/4 voll ist. In der WildparkGastronomie ob der Öfffnungszeiten keine Chance auf neue Power.
Max A. Rosenberg ist wilde 360 Kilometer entfernt und wundert sich, weshalb ich mein Navi falsch eingestellt habe.
Ich wundere mich über die Leute, die mich in brütender Hitze das Rad samt Anhänger zum Eingangstor hochhieven sehen und Witze über den streikenden Husky (Yoshi) machen. Keiner, wirklich keiner fragt, ob er behilflich sein kann.
Ich zahle den Eintritt, nehme einen netten Film mit zwei der Forschungswolfsrüden und Yoshi in Interaktion auf und radele mit meinem fliegenentnervten Hund und übermichselbstlächelnder Cargobikebbraut herunter zu Doris…wo sich die gayscene am Dorfplatz trifft…

