Friedensarbeit im Kosovo: Mit der Frau von den RAF Plakaten?

Symbole Kosovo, Krieg, Frieden, RAF, Jugoslawien

Hospitation in Pristina bei Silke Maier-Witt

Von der RAF in die Friedensarbeit – und ich mittendrin. Zwei Wochen, die mein Bild vom Kosovo, von Friedensarbeit und von einer Frau veränderten, deren Vergangenheit schwer wiegt – und deren Gegenwart umso bemerkenswerter ist.

Als ich im September 2003 auf dem Flughafen von Prishtina lande, erwartet mich ein anderer Eindruck als der, den sich viele meiner Freunde ausgemalt haben. Kein „Krisengebiet“ mit Chaos, sondern: Nehari. Er ist albanischer Kollege meiner Mentorin und holt mich ab, höflich, informiert, mehrsprachig – und mein erster Hinweis darauf, dass dieses Land vielschichtiger ist als jede Nachrichtensendung. Wir fahren nach Prizren, vorbei an Flüchtlingssiedlungen, halb fertigen Häusern, Erinnerungen an Bombardements – und durch eine Landschaft, die sich nicht in Schubladen pressen lässt.

Der Anflug auf den Airport Prishtina gibt den Blick frei auf KFOR-Garagen, Militärgelände und ja, vielleicht wird man gerade dadurch noch einmal bestärkt im Glauben, man würde in einem Krisengebiet landen. Denn natürlich haben viele meiner Freunde erschrocken die Augenbrauen gehoben: Du fliegst in den Kosovo? Um Gottes Willen, was willst du denn dort? Deshalb ist es mir wichtig klarzustellen, dass ich mich im Kosovo nicht ein einziges Mal unsicher gefühlt habe.

Schon mit den ersten Begegnungen – Taxifahrern, ankommenden Fluggästen und nicht zuletzt Nehari, der mich abholt, relativiert sich mein Bild. Der albanische Büro-Kollege von meiner künftigen Mentorin Silke Maier-Witt, bringt mich vom Flughafen Prishtina ins 70 km entfernte Prisren und versucht mir während der Fahrt erste Eindrücke zu vermitteln. „Hier wohnen fast ausschließlich Serben, dort ist eine Flüchtlingssiedlung…“. Um ehrlich zu sein, außer halbfertigen Rohbauten fällt mir zunächst nichts auf. Wir sprechen darüber, dass er die NATO-Bombenangriffe für die einzig richtige Methode hält, mit der man die Serben in ihrem Wahn stoppen konnte. Und jetzt? Könnten die Serben sich seinetwegen gern wieder im Kosovo ansiedeln. Allerdings, so schränkt Nehari bestimmt ein, wenn sie die kosovo-albanische Unabhängigkeit akzeptieren, sich einfügen würden. Verständlicher Wunsch. Gleichzeitig wechselt Nehari so oft die Sprachen, am Telefon, im Radio: von Albanisch zu Türkisch zu Serbisch. Ganz unkompliziert und ohne Vorbehalte dem Serbischen gegenüber, was ich durchaus vermutet hatte.

Dann kommen wir nach Prisren, und nicht nur, weil Nehari so begeistert über seine Heimatstadt spricht, sondern weil auch ich die geschichtsträchtige Stadt an dem kleinen Fluss schön finde, bin ich berührt.

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In der Altstadt, die früher ein Beispiel des friedlichen multi-ethnischen und multi-religiösen Lebens gewesen sein soll, ragen am Berghang verkohlte Dachrümpfe, ausgebrannte Häuser hervor. Cafés sind gut gefüllt, der Lärm ist unerträglich. Entsetzt frage ich Nehari, weshalb vor jedem Laden so ein komischer Motor steht und vor sich hin stinkt und rattert. „Ach, wir haben drei mal drei…“ Hintergrund ist die missliche wirtschaftliche Lage des einzigen Stromversorgers, da sie Probleme mit mehreren Sektoren und kein Geld zur Reparatur haben, gibt es drei Stunden Strom, und in den nächsten drei Stunden müssen die Leute sich mittels Generatoren behelfen. Auch auf der Terrasse des ZFD-Büros keucht ein solcher gegen die Stromlosigkeit an, nachdem Silke Maier-Witt ihn mit einem Tempo-Taschentuch gereinigt, mit Benzin aus einem Kanister aufgefüllt und angeworfen hat. Sie sieht uns erst, als sie sich aufrichtet. Freundlich begrüßt sie mich, zu dritt stoßen wir gemeinsam mit dem SwissAir-Piccolo an, den ich mitgebracht habe.

Vom Terror zur Transformation

Die Frau, die seit 3 ½ Jahren für das forumZFD in Prisren als Friedensfachkraft arbeitet, ist keinesfalls ein „unbeschriebenes Blatt“. Das Projekt im Kosovo hängt meiner Meinung nach ganz entscheidend von ihrer Person ab und wird von Silke Maier-Witt entscheidend geprägt.

Vor 25 Jahren stand Silke Maier-Witt auf der RAF-Fahndungsliste. Heute findet man ihren Namen auf der Gehaltsliste des BMZ. Sie gehörte damals dem Kommando der Roten Armee Fraktion an, das in Köln den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführte, später tauchte sie in der Ex-DDR unter. Heute spricht Silke fließend Albanisch und bisher habe ich niemanden in dem Gewusel an Internationalen gesehen, der/die wie sie – den Job als „Friedensfachkraft“ so achtsam im Sinn von „do-no-harm“ macht.

Sie unterstützt, wo Leute einfach nur Bestätigung brauchen, sie hat eine phantastische Art, Menschen in dem zu bestärken, was sie machen, ohne belehrend zu wirken. Ihre Fähigkeit, den Leuten zuzuhören und im richtigen Moment die richtigen Fragen so zu stellen, als kämen sie von den Beteiligten selbst, hat mir gezeigt, dass und wie ZFD-Friedensarbeit vielleicht möglich ist. Aber der Reihe nach.

Das ZFD-Projekt hat in den letzten Jahren einige Höhen und Tiefen erlebt, die auch eher persönlicher Natur gewesen zu sein scheinen. Aber haben wir nicht gelernt, dass in den meisten Projekten die Planung schief läuft, weil es zu 80 Prozent Teamschwierigkeiten gibt? Weshalb also sollte es in Prisren anders gehen?

Die alten Geschichten sind zur Genüge in den vorherigen Projektberichten erwähnt, angedeutet und beschrieben, ich lasse sie, weil ich sie ja auch nur aus Erzählungen kenne, weg. Worauf ich aber durchaus eingehen möchte, sind die Projekte, die Silke zur Zeit meines Daseins tatkräftig unterstütze.

Jugendzentrum Dragash: Aufstand mit Unterschriften

jugendzentrumdragash

Eigentlich wollten Silke und Nehari ihren Einfluss auf das in Dragash installierte (60km von Prisren in den Bergen gelegenes Dorf) Jugendzentrum schon lang auf ein Minimum heruntergefahren haben, aber dann änderte sich die Situation und so wurde ich Zeugin eines spannenden Mediations- und Empowerments-Prozesses.

Im oben abgebildeten Haus finden seit etwa vier Jahren Veranstaltungen verschiedenster Art für die Kids und Jugendliche statt: Vom Tischtennis über Deutschkurse bis hin zu, von KFOR-Soldaten angebotenen Standardtanzkursen fühlen sich die Jugendlichen hier vor allem wohl, an ihrem eigenen Platz. Denn, wie so oft in solch kleinen Dörfern sind die Probleme zuerst nicht ethnisch, sondern ganz menschlich: Langeweile, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Genderprobleme, unverständliche Pubertätssituationen und im Kosovo kommt noch eine relativ strenge konservative Einstellung dazu.

Ich habe Keli, Pimi, Andrea und viele andere sieben bis -22jährige bei ihren selbstorganisierten Kursen beobachten dürfen, habe ihnen zugesehen, wie sie sich drückten, ihre lang angekündigte Zentrenzeitung zu publizieren und dann kam es zum Eklat. Die gewählten Dorfpolitiker glaubten, weil der Mietvertrag auslief, sie könnten die „störenden“ lauten Jugendlichen vom Haus fernhalten und die – von UNICEF und GTZ seinerseits gespendeten – Computer plus Internetzugänge für sich nutzen.
Das Jugendzentrum befindet sich in einem sogenannten Kulturhaus in dem von Kosovo-Albanern und Goran geteilten Dorf Dragash.
Mit viel Geld hat die OSZE vor knapp 5 Jahren damals (zu allem Überfluss fest installierte) Gestühl und sogar einen Kinoraum mit superteurem Beamer eingerichtet, um den einheimischen Gremien so auch eine Möglichkeit zum Geldverdienen einzuräumen.

Nur hat seither noch nicht eine einzige Kinovorführung stattgefunden und keiner der vielen Menschen, die Silke und mich auf der Straße anhalten, um nach dem aktuellen Stand des DYC zu fragen, können die Frage nach dem „Warum nicht?“ auch nur ansatzweise beantworten. Ganz oft hören wir Klagen darüber, dass die alte Vetternwirtschaft mit dem Wechsel nicht aufgehört habe: Früher habe man wenigstens gemeinsam gegen die Serben, den Feind demonstrieren, aufstehen können – jetzt aber seien es ja schließlich die eigenen Leute, denen man Faulheit, Korruption und Schlimmeres vorwerfen müsste.

Zurück zum aktuellen Szenario. Silke skizzierte mir folgendes Bild: Die Kids müssen sich darüber klar werden, wie viel wert ihnen das Zentrum ist und dann herausfinden, was geeignete Protestmethoden sein könnten. Was ihre Rolle als Friedensfachkraft angeht, so ist diese ganz klar – nicht als Anstifterin, vielmehr als Vermittlerin definiert. Und so agiert Silke dann auch hervorragend, wie ich finde. Freitags kamen tatsächlich fast alle Kids und Jugendlichen zur Versammlung. Zunächst herrschte ziemliche Ratlosigkeit, immer wieder die Hoffnung, Silke möge den entscheidenden Hinweis, Anstoß geben. Aber nach und nach traten die offensichtlichen Probleme, die einer der Älteren kundtat, klar zutage: „Der Onkel meines Bruders ist offiziell gewählter Minister für Kultur und Sport, ich kann ihn nicht so einfach angreifen. „Aber mal ehrlich, was hat er denn in den vergangenen Jahren wirklich abgeliefert in seinem Amt?“ Eine wichtige Frage, weil sie für die Anwesenden eben nicht alltägliches Gemecker, sondern eine neu zu erprobende Form der Eigenverantwortung bedeutet.

Schließlich einigten sie sich ganz überraschend auf eine Unterschriften-Petition für den Erhalt ihres Zentrums, sie wollten sich für ihre Belange einsetzen. Darüber hinaus ermöglichten sie während der gesamten Diskussion, dass die Goran-Minderheit sich problemlos in ihrer eigenen, abweichenden Sprache äußern konnte, ohne dass jemand nach einer Übersetzung verlangt hätte. Auch ein Erfolg in Sachen ethischer Verständigung.

Am darauffolgenden Montag hatten die Kids tatsächlich 500 Unterschriften gegen ihre Vertreibung aus dem Jugendzentrum zusammengesammelt. Stolz präsentierten sie Silke und mir die über zehn Seiten. Obwohl sie bereits seit über drei Jahren mit den Jugendlichen arbeitet, zeigte Silke sich völlig überrascht und auch gerührt.

Im Gegensatz zu uns fühlten die „Dorfoberen“ – mit denen wir zum Mittagessen in einem charmelosen Restaurant am Dorfeingang verabredet waren, sich ganz und gar nicht enthusiastisch. Vielmehr empfanden sie das Engagement als gegen sich gerichtet, als unangemessene Reaktion gegen die demokratisch gewählten Verantwortlichen und als „Griff zu alten Methoden“ – womit sie behaupteten, die Jungs hätten nicht von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, sondern sich benommen als würden sie gegen die früheren Machthaber agieren. Silke versuchte – so gut es ging – den Herren im Anzug klar zu machen, dass sie doch stolz auf ihre Jugend sein könnten. Natürlich hatte sie im Vorfeld dafür gesorgt, dass sowohl die UNICEF-Vertreter als auch Kai Leonhardt von der GTZ in Prishtina Bescheid wussten, denn um deren Spenden an die Jugendlichen ging es schließlich auch. Kai, der nicht nur Kollege, sondern auch ein guter Freund Silkes ist, reiste sogar eigens aus Prishtina an. Bezeichnenderweise fehlte einer der Hauptakteure, nämlich der Direktor für Jugend und Sport, dessen Büro sich im DYC-Haus befindet und der seine Klagen gegen die Kids und Jugendlichen u.a. damit begründet, dass es soviel Lärm gäbe.

Die ganze Geschichte war bis zu meiner Abreise leider offen, so dass es mir nicht vergönnt war, mit den Jugendlichen und Silke gemeinsam ihren möglichen Erfolg zu feiern.

Auf die beiden anderen Projekte, die sich der tatkräftigen Hilfe Silkes sicher sein können, gehe ich an dieser Stelle nicht so ausführlich ein, obwohl auch dies lohnende Geschichten sind, an denen sich die Arbeit einer Friedensfachkraft gut aufzeigen ließe.

Frauen, Wolle und Widerstand

Sara – Frauenprojekt

Da ist zunächst die Weberei – ins Leben gerufen von einer beeindruckend engagierten Frau namens Dashuria (Mutter von 5 Kindern mit Flüchtlingshintergrund) – ich hatte das Glück dabei sein zu dürfen, als Silke und Dashuria beim Auswärtigen Amt in Prishtina den Vertrag über 50.000 Euro Unterstützung für Dashurias Projekt unterschreiben konnten. Mit ihrem unermüdlichen Aufwand hat Dashuria gegen viele Widerstände neue Arbeitsplätze für Frauen im Kosovo geschaffen und ich wünsche ihr von Herzen, dass sie mit ihrem Projekt Erfolg hat. Auch, wenn sich das jetzt sehr persönlich anhört, ich wünsche ihr von Herzen, dass sie sich eines Tages einen großen Wunsch erfüllen und in Deutschland auf Vortragsreise gehen kann, um hier Interesse für ihr Vorhaben zu wecken und vielleicht auch ein wenig mehr internationale Unterstützung zu finden oder einfach nützliche Netzwerkkontakte knüpfen zu können. Leider konnte ich mich nicht so sehr dafür einsetzen, wie ich es gern getan hätte. Das hat unter anderem auch etwas damit zu tun, dass Silke mir nie die versprochenen Projektbeschreibungen zugesandt hat.

Frauenprojekt Dora Dores

Das andere Projekt ist eine Frauengruppe namens Dora Dores – was meint: Hand in Hand. Mit den Frauen dieser Gruppe, die noch auf der Suche nach einer Finanzierung ist, war ich ebenfalls mehrmals zu sehr interessanten Gesprächen bei der KFOR und durfte ebenfalls dabei sein, als sie sehr offen über Emanzipation diskutierten. Wie schwierig der Weg für NGO`s im Kosovo ist, weil nie klar ist, ob es nur um die richtigen „keywords“ in den Anträgen geht, ob die Verantwortlichen sich eingestehen, dass sie mit ihrem Engagement natürlich und verständlicherweise auch Geld verdienen wollen und wie es mit dem allgemeinen Status des Kosovo überhaupt bestellt ist und weitergeht, durfte ich an diesem Frauenprojekt ebenfalls beobachten.

Für all die Stunden, in denen ich die Frauen begleiten durfte und vor allem für Vjosas Offenheit und Hilfe danke ich an dieser Stelle noch einmal.

Fazit

Die Hospitation war auf jeden Fall, trotz oder vielleicht gerade wegen der Differenzen mit Silke eine nicht wegzudenkende Lektion – und obwohl Silke Maier-Witt bei der nächsten Hospitanz wahrscheinlich nicht mehr dort sein wird, denke ich, das ZFD-Projekt in Prizren ist ein hervorragender Platz ist, um sich in wenigstens 14 Tagen ein Bild über die Situation vor Ort und die Arbeit lokaler wie internationaler NGO’s machen zu können.

Bedenkenswert sind – was man gut nach der Rückkehr in den Kurs diskutieren kann, die Rolle der Internationalen sowie die Bereitwilligkeit, mit der neurotische, nicht – do-no-harm-bereite ZFD-Kräfte manchmal für Einsätze im Feld ausgewählt werden. Diesbezüglich ist es sehr schade, dass Silke als Mentorin nicht mehr zur Verfügung stehen wird, jedenfalls, was Prizren angeht, denn sie ist, das möchte ich noch einmal betonen, gerade unter dieser Prämisse eine sehr gute Lehrerin.

Zur Person: Silke Maier-Witt

Geboren: 21. Januar 1950 in Nagold
RAF-Mitgliedschaft: Ab 1977 Teil der zweiten Generation, beteiligt an der Entführung Hanns Martin Schleyers
Untergetaucht: 1980 in die DDR, lebte dort unter falschem Namen, wurde 1990 enttarnt
Verurteilung: 1991 zu 10 Jahren Haft, 1995 vorzeitig entlassen
Danach: Psychologiestudium, systemische Therapieausbildung
Friedensarbeit: 2000–2005 für das forumZFD im Kosovo tätig
Heute: Lebt in Nordmazedonien, setzt sich öffentlich für Aufarbeitung und Dialog ein
Zitate: „Wir sind alle alte Leute geworden. Da macht es keinen Sinn mehr, das Versteckspiel aufrechtzuerhalten.“


Buchtipp

📘 „Ich dachte, bis dahin bin ich tot. Meine Zeit als RAF-Terroristin und die Zeit danach“
Silke Maier-Witt (Februar 2025)

Eine radikal ehrliche Autobiografie. Kein Pathos, keine Rechtfertigung – sondern eine schmerzhafte und kluge Auseinandersetzung mit Verantwortung, Schuld und einem Weg, der aus der Gewalt in die Verständigung führt. Maier-Witt bleibt dabei nüchtern und selbstkritisch – und spricht auch über ihre Versöhnungsgespräche mit den Angehörigen der RAF-Opfer.

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