Vom Werden Sollen: Erwartungen

Dagobert Duck hat immer alle Erwartungen erfüllt, er ist reich geworden

oder: Warum ich keine Hundefriseurin geworden bin

Wo hat Dagobert Duck sein Geld?


Zu seinem zehnten Geburtstag schenkte sein Vater ihm einen Schuhputzkasten, mit dem er sein erstes Geld verdiente; die erste Münze, die er auf diese Weise erwarb und seitdem wie seinen Augapfel hütet, spielt in vielen späteren Geschichten als sogenannter „Glückszehner“ eine wichtige Rolle (siehe dort).

KI generierter Donald Duck mit einem Schuhputzerkasten und seinem Glücks Zehner
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Manchmal – ich geb’s zu – lese ich im Jugendmagazin „JETZT“ der Süddeutschen Zeitung, in der Rubrik „Was verdient eigentlich …?“.

Nicht regelmäßig, aber oft genug, dass mein innerer Kritiker sich genüsslich die Hände reibt, wenn da steht: „Hundefriseurin – 9300 Euro brutto“. Und dann denkt dieser innere Besserwisser (der ganz sicher eine Hornbrille trägt und heimlich bei „Karrierebibel“ mitliest): „Tja. Warum ist aus dir nicht was Ordentliches geworden?

Was Ordentliches. Das klingt schon wie ein Diktum aus dem Maschinenraum deutscher Elternerwartungen. Ein Beruf mit TÜV-Plakette. Ein Leben mit Rentenpunkten, geregeltem Feierabend und den geräuschlosen, weil digitalen Gehaltseingängen, die auch nach Abzug der Krankenkasse noch für zwei Sorten Käse (Jammern auf europäischem Niveau, ich weiß) reichen. Kein Dagobert Duck Talerchen-Badeberg oder Grimmscher „Der süße Brei“.
Ich schweife ab.

Was also ist dieses „etwas Rechtes“ – oder, wenn man es wie meine Mutter sagen würde: etwas, das man im Impressum lesen kann. Als ich noch bei stern.de gearbeitet habe, war das für sie wie ein Sechser im Image-Lotto.

Endlich konnte sie beim Friseur sagen: „Meine Tochter? Die ist Journalistin.“ Und dann bedeutungsschwanger mit dem Finger auf den Bildschirm tippen. Da steht ihr Name.

Warum ich dort aufgehört hab? Ich war unglücklich. Jedenfalls, nachdem ich hinter den Kulissen den Seelenbesen über die Onlinebretter, die eben nicht die Welt bedeuten, geschwungen hatte.

So viel Ehrlichkeit muss sein. Und danach, klar, hab ich mir gedacht: „Jetzt oder ….“. Rucksack geschnürt, losgezogen, Indien, Nepal, Tibet. Direkt nach dem Radrennen CYCLASSICS über die Hamburger Köhlbrandbrücke und schmerzverzerrt, aber glücklich durch die Harburger Berge.
Und dann, irgendwo in einem dieser klapprigen Busse mit zwanzig Mitreisenden und einem laut hustenden Huhn, hörte ich: Krishnamurti.

„Wenn wir uns selbst, auch nur oberflächlich, untersuchen – was wollen wir eigentlich? Ob wir nun gut situiert, arm oder intellektuell hochgebildet sind – jeder von uns versucht offenbar, etwas zu werden, möchte jemand oder etwas werden. Es erscheint ganz natürlich, in dieser Welt etwas zu werden – natürlich in dem Sinne, dass man, wenn man eine bestimmte Sprache nicht kennt, Zeit aufwendet, um sie zu lernen. Das ist ein Werden – in Bezug auf Sprache, auf akademisches Können, auf Handwerk. Doch wir stellen die Frage: Ist es auch psychologisch natürlich – ist es unausweichlich –, dass der Mensch innerlich etwas werden muss? Dieses Werden bedeutet immer Zeit. Ich bin dies, aber ich werde jenes. Und zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich werden will, liegen Tage, Wochen, Jahre des Strebens, des Vergleichens, der inneren Kämpfe. Dieses ständige Streben, innerlich etwas zu werden – mehr Erleuchtung, Erlösung, Nirvana – das ist tief in uns verankert. Aber: Müssen wir wirklich innerlich etwas werden?“

Der sagte sinngemäß: „Warum wollen wir immer etwas werden?“ Und ich dachte: Genau. Warum eigentlich? Warum glauben wir, dass wir erst dann etwas sind, wenn wir „etwas geworden“ sind? Als würde der Lebenslauf wie ein Pokémon aufsteigen. Heute Praktikantin, morgen Redakteurin, übermorgen Chefredakteurin. Und irgendwann, wenn man ganz fest dran glaubt, vielleicht sogar „selbstständig und erfolgreich“ – dieses Zwitterwesen zwischen Selbstverwirklichung und Burnout.

Ich frage mich, was mein Vater dazu gesagt hätte. Wenn er nicht auf irgendeinem Kassenbon seine Bonuspunkte im Leben durchstreichen würde, um unter dem Strich seine Lieblingsvokabel OPFER der Umstände mit einem fetten roten Minus untermalen zu können.

Seine Erwartungen an mich konnte man in ein Post-it kritzeln. Meine Mutter hingegen hätte gerne gesehen, wie ich mit einem schicken Visitenkärtchen durchs Leben stöckele. „Leiterin Kommunikation“ stünde da irgendwann mal drauf. Glänzte schön, fühlte sich aber nach Alufolie an, wenn man drüber leckte.

Und heute? Heute lese ich also über Hundefriseur:innen mit fünfstelligen Monatseinkommen und frage mich: Was wäre gewesen, wenn? Wenn ich einfach gesagt hätte: Ich liebe Tiere. Ich liebe Scheren. Ich liebe kleine, runde Gesichter im „Asian Doll Style“. Und ich liebe es, meine eigene Chefin zu sein.

Aber dann denke ich auch: Vielleicht geht’s gar nicht darum, was wir werden. Sondern wer wir sind, wenn wir es gerade nicht werden müssen. Wenn wir Gassi gehen, Texte schreiben, Tee aufbrühen und uns an die Geschichten erinnern, die wir erlebt haben, weil wir nicht das geworden sind, was man uns geraten hat.

Ich hab mich nie für die sichere Route entschieden. Aber vielleicht ist das gerade das Ordentliche daran. Dass ich mein Leben immer wieder entwirre, wie verfilztes Fell – und versuche, etwas daraus zu machen. Auch wenn’s nicht immer glatt durchgeht.

Fazit? Vielleicht hätte ich Hundefriseurin werden sollen. Aber vielleicht bin ich genau richtig so, wie ich bin: mit zerzausten Träumen, ein paar seltsamen Berufsentscheidungen und der Erkenntnis, dass „etwas werden“ überbewertet ist.

Journalistin Carola Güldner mit ihrer Hündin Yoshi während ihrer "Wölfe - Raben - Herdenschutz" Tour mit dem Cargobike unterwegs in Graz

Und wer weiß – in einem Paralleluniversum bürste ich gerade meine Herdenschutzhündin Yoshi, die im Leben keinen Hundefriseur braucht, höre Radio Zettelschmidt und verdiene Glück. Hundefriseur ist auch so eine Berufserfindung von „Der Hund muss was werden…“-Menschen. Änderung jederzeit möglich.

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