Journalismus

Auf dem Rücken schlafender Riesen….Indien, Nepal, Tibet

August 2001, Flughafen Wien

Für die Austrian-Airlines-Stewardessen, die durch die Sitzreihen des Airbus stöckeln, hat soeben ein ganz normaler Arbeitstag begonnen. In ihren roten Kostümen, den Busen eng geschnürt, das Alter, die Müdigkeit und was ein Stewardessengesicht sonst noch unattraktiv machen könnte, gut kaschiert, gehen sie zähneblitzend umher und weisen die wenigen Passagiere ein.

Mit mir haben schätzungsweise acht indische Familien sowie ein österreichisches Paar eingecheckt. Der Vater bespricht Vertrauliches mit seinem übergewichtigen Sohn, die Mutter kämpft mit dem Gurt und wirkt ein wenig verloren, allein in ihrer Dreier-Sitzreihe.

Für mich hatte, und zwar beim Bundesgrenzschutz, denn in deren Röntgengerät war mein Rucksack hängen geblieben – ein ganz und gar nicht normaler Tag begonnen. Erfolglos hatten zwei der Beamten das Malheur zu beheben versucht, am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als die Gurte mit meinem Taschenmesser zu durchtrennen. Glücklicherweise waren es nur zwei der kleineren, unwichtigen Schnüre, auf die ich in den nächsten zwei Monaten getrost würde verzichten können. Vier sorgfältig auszufüllende Formulare und ebenso viele Behördenstempel kosteten noch einmal eine halbe Stunde meiner Eincheckzeit, bevor ich doch noch rechtzeitig nach Wien hatte starten können.

Es wäre vermessen, sich jetzt schon als Abenteurerin zu fühlen; so viele andere vor mir sind schon auf genau dieser und anderen Luftlinien geflogen, auch sie haben die Folien von Plastiktabletts im Miniformat gefummelt, haben sich Orangensaft über die Sachen gespritzt beim Versuch, den Unterdruck der zugeschweißten Döschen zu überlisten. Ungezählt die Passagiere, die sich bisher über die Hindi-Filme, die man ihnen kredenzte geärgert oder gefreut haben. Auch sie schlangen vermutlich das Nachtmahl hungrig in sich hinein oder sie ließen die Tandoori-Imitationen unberührt zurückgehen, und natürlich haben auch sie vor Toiletten angestanden. Manche von ihnen flogen zurück und andere, wie ich, entfernten sich von ihren Heimatorten. Auf dem Monitor kann ich sehen, dass es noch knapp 6000 Kilometer bis zum Zielort Delhi sind.

Während ich gelassen in der Tür lümmelte, verwickelte eine der Stewardessen mich in ein nettes Gespräch, uns blieb noch eine Viertel Stunde bis zum Start. Draußen glitzerten die Tragflächen. In einer der mittleren Reihen darf ich mir mein Lager einrichten, die Stewardess gibt mir zwei weitere Decken, ich könne ruhig dort schlafen, die Maschine sei nicht ausgebucht. Kaum zu glauben, ich habe vier Sitze für mich allein.

Auf den Monitoren erscheint die übliche Trickanimation für die Sicherheitsvorkehrungen, man erläutert uns den Gebrauch der Atemmasken und Schwimmwesten, es klingt sehr irritierend in Hindi.

Obwohl der Komfort, den man, allein in einer Reihe, geboten bekommt, sich nicht nur auf volle Beinfreiheit, sondern obendrein noch auf vier frei verfügbare Monitore erstreckt, bin ich zu müde für die indischen Filme. Sporadisch verfolge ich die englischen Untertitel und erwache, als der Monitor anzeigt, dass wir gerade noch 864 Kilometer bis zur Ankunft zurückzulegen haben. In Indiens Hauptstadt ist es bereits 18:24, während meine Uhr gerade 14:46 anzeigt. Jetzt wäre es schön, einige meiner Freunde anrufen zu können…

21. /22. August, Delhi

Ich wollte Abenteuer, mein Wunsch ist dem Universum Befehl. Wie Leute, die schon einmal hier waren, vorausgesagt hatten: Eine unübersichtliche Menge fuchtelnder, schreiender Männer drängte sich hinter einem eisernen Spalier, das die wenigen gelandeten Touristen noch von ihnen trennte; alle wedelten sie mit Visitenkarten riefen unablässig, wir sollten bei ihnen einsteigen. Ich war froh, vorab zu wissen, dass ich ein Pre-Paid-Taxi nehmen und etwa 180 Rupien zahlen müsste. Der Mann hinter dem Schalter wirkte mürrisch und müde, dafür war der Fahrer des Wagens Nummer 347, dem ich zugeteilt wurde, ganz munter. „Mondän“ ist das Wort, das mir zu seinem schaukelnden Oldtimer, einem alten weißen, britischen Modell, einfällt: Roter Samt bekleidet üppige Sitzpolster, vorn baumeln orangerote und weiße Blumenketten über großzügigen Armaturen. Ich muss an Brokat und Maharadschas denken, an die Kolonialzeit und daran, dass ich viel zu wenig über Indien weiß. Zu spät.

Der Fahrtwind fächelt angenehme 25 Grad herein, es ist zwei Uhr dreißig morgens und der Taxifahrer will erneut wissen, wo wir abbiegen müssen. Wir haben mehrere uniformierte Wächter moderner Gebäude nach dem Weg zum Karmapa Buddhist Institute in New-Delhi gefragt, wir haben Rikschafahrer in ihren Gefährten aus dem Schlaf geschreckt, beinah eine Kuh gestreift und fast einen Hund überfahren. Als wir dann endlich ein rotes Tor fanden, hinter dem ein buddhistisch anmutendes Gebäude im Dunkel lag, war niemand da, den ich hätte wecken und bitten können, mir zu öffnen.

Jeder würde in Indien Lehrgeld bezahlen, hatte man mich gewarnt. Warum sollte gerade ich eine Ausnahme darstellen? Der Hotelmanager verzog keine Miene, als er 1784 Rupien (etwa 90 Mark) von meiner Kreditkarte abbuchte, dafür aber der Boy, als er meinen 23-Kilo-Rucksack und die zwei kleineren Taschen anheben wollte. Bevor er wirklich unter der Last zusammenbrechen würde, trug ich es lieber selbst. Er fand seinen Stolz erst wieder, als wir am oberen Ende der zwei steilen Treppen angekommen waren und er mir die drei indischen Programme in einem kleinen stotternden Schwarzweißfernseher vorführen konnte.

Im Bad tröpfelte kaltes Wasser, im Waschbecken schwammen Haarbüschel, die Duschkabine war gesäumt von schmutzig-braunen Kacheln. Ich versuchte nicht hinzusehen, konzentrierte mich stattdessen darauf, kein Wasser zu schlucken. Direkt über meinem Kopfkissen rotierte in einer wenig vertrauenerweckenden Halterung ein riesiger Ventilator, den ich vorsichtshalber abschaltete. Die Videokamera ums Handgelenk gewickelt, schlief ich ein.

22.8. 01, Busfahrt nach Nepal

Grauenvolle Hupen aller Art begleiteten unsere Ausfahrt in Richtung Sunauli. Zu wissen, wo ich die Ohrstöpsel finden würde, hätte mich glücklich gemacht. Der Bus, in dem ich mir einen Platz erkämpft habe, muss früher grün und in einem früheren Leben vielleicht sogar gefedert gewesen sein, jetzt aber hopsen – sobald wir fahren – mein Rucksack, die Tasche, die Videokamera und ich auf den rissigen Lederbezügen auf und nieder. Auf der Bank, die in Deutschland gerade als Einzelsitz durchgehen würde, halte ich mein Gepäck so gut es eben geht zusammen, um die Frau mit ihrem weinenden Kleinkind nicht allzu sehr einzuschränken. Ihr Mann hockt mit mehreren Kisten eine Bank hinter ihr und starrte mich bereits mehrmals an, während sie keine Miene verzog. Selbst dann nicht, als ich mich für meine Bündel entschuldigte und ihrem Kind einen Keks anbot. Durch die Schiebefenster schreien immer wieder Verkäufer, ein Junge hielt mir hechelnd zwei Flaschen Wasser hin: „25 Rupien!“ Einstudierter Bambi-Blick, dann fügte er an: „Only!“ Noch immer sagte die Frau neben mir nichts, obwohl ich denke, sie weiß sehr wohl, dass eine Flasche Wasser nicht mehr als fünf Rupien kosten kann, selbst wenn man Ausländer ist. (1 Indische Rupie entspricht ungefähr 0.02050 Euro, für 1 Euro erhält man ca. 48.7725 Indische Rupien)

Laut Aussagen des Ticketverkäufers würde ich nach ungefähr 15 Stunden an der nepalesischen Grenze sein, also hatte ich mich in Delhi mit zwei Flaschen Wasser und 30.000 Rupien eingedeckt. Mittlerweile sind die Flaschen leer und das Geld drückt zwischen Hosenbund und Bauch, wo ich es versteckt habe. Nicht nur, weil ich vor Dieben Angst habe, sondern auch, weil weder Aus— noch Einfuhr indischer Währung erlaubt sind und ich nicht wissen kann, wann wir die Grenze tatsächlich erreichen.

Ich würde also einen der großen Scheine aus meinem sorgsam versteckten Bündel wechseln müssen, mit dem ich dem Jungen zu einer guten Einnahme verhalf, selbst wenn wir uns nach langen Verhandlungen auf 15 Rupien für zwei Flaschen geeinigt hatten.

Jedes Mal, wenn ich mein Fenster aufschiebe, schließe ich automatisch das meines Hintermannes, anfangs klemmte ich ihm wohl auch den Arm ein. Ebenso wie meine Nachbarin lässt meine Entschuldigung ihn unbewegt. Er starrt wie alle Männer, ohne, dass ich erraten könnte, was sie denken, emotionslos und direkt in mein Gesicht. Ich bin die einzige Ausländerin zwischen zwei verschleierten Frauen und etwa 45 turbantragenden Männern. Obgleich jeder Reiseführer Frauen davor warnt, komme ich nicht umhin, zurückzuschauen. Dann jedoch wurde unser gegenseitiges Beäugen unterbrochen, weil ein Polizei-Jeep den Bus stoppte. Acht braune Uniformen schoben sich durch den schmalen Gang, mit Stöcken deuteten die Polizisten auf ausgewählte Pakete: Besonders in den hinteren Bänken wurden viele der Kisten, Töpfe, Verschläge aus den Ablagen gehievt und besichtigt. Verschnürte Bündel, die aussehen, als beherbergten sie tote Hühner, wurden auf die Straße geworfen. Ihre Besitzer sprangen gehorsam auf, öffneten alles willig und ohne ein Wort, gegebenenfalls verließen sie den Bus. Stumm ergeben.

Busstop

Seit fünf Stunden sind wir unterwegs, die ganze Zeit saß ich, einen Ellbogen im Fahrtwind, ließ diese fremde Welt an mir vorüberhupen. Wäre da nicht der unvermeidliche Gedanke an eine Pause und an die Toilette, die ich bald brauche, wäre es gar nicht schlimm, nur wage ich auch jetzt nicht auszusteigen, weil ich auch bei dieser Rast nicht weiß, wie lange wir halten. Schon beim letzten Stop vor einer Stunde wagte ich mich nicht von meinem Platz, wusste nicht, wen ich hätte fragen sollen. Ob jemand dem Fahrer Bescheid geben würde, wenn ich fehlte? Und wo sollte ich überhaupt nach einer Toilette suchen? Darüber hinaus beginnt mich der Gedanke zu quälen, woher ich neues Wasser bekomme, wenn nicht aus dem Trinkhahn? Der muss jedoch aus Rücksicht auf meinen europäischen Magen-Darm-Trakt für mich strikt tabu sein.

Vorausgesetzt, ich wagte mich jemals hinaus an die verlockenden Stände am Straßenrand? Wie könnte ich? Weder der dicke, gemütliche Busfahrer in seinem schlafanzugähnlichen weißen Kaftan noch die Frau hinter mir sprechen Englisch, und alle anderen starren so eindringlich, dass ich noch immer vermeide, sie anzuschauen, geschweige denn anzusprechen. Es nützt nichts, beim nächsten Halt werde ich es riskieren müssen, das Gepäck unbeaufsichtigt lassen zu müssen…

Nächste Pause

Bisher sprangen, in jedem Ort, den wir anfuhren, Menschen auf das Trittbrett unseres schaukelnden Vehikels. Sie präsentierten ihre Utensilien mit einer Inbrunst, die mich für die Zeit ihrer Anwesenheit von allen Beschwerlichkeiten, der Hitze, dem Durst und dem sturen, stummen Angestarrtwerden ablenkte. Die mich vor allem aber vergessen ließ, dass ich dringend eine Toilette brauchte. Da ist beispielsweise der Mann mit dem monströsen Rahmen: Ein antikes Stück, in dem eine vergilbte Urkunde, eine Art Zertifikat prangt, mit dem er die Wirksamkeit seiner zum Verkauf gepriesenen Salbe in Sachen Glaubwürdigkeit potenzieren will. Die Sprache der Verkäufer ist, egal, was sie anzubieten haben, unglaublich schnell, eindringlich, kommt einer Hypnose gleich. Schlangenartig bewegt der Verkäufer sich auf sein nächstes Opfer zu. Gebannt schaue ich zu, wie er den kränklich-apathischen jungen Mann vor mir verbal einzuwickeln versucht, obwohl der völlig geistesabwesend wirkt. Ungeachtet dessen redet der Mann mit dem Holzrahmen unablässig weiter, die bis zum Rand gefüllte Bauchtasche bewegt sich drohend auf und ab, eine gut gepflegte Hand drückt dem widerwilligen Opfer zwei Tuben Salbe in die Hand. Auch als der Kranke das nun herrenlose Geschenk nur mit Mühe vor dem Zubodenfallen rettet, bleibt die Miene des Zertifikatbesitzers ungerührt. Mein geschwächter Vordermann muss seinen Kopf lange schütteln, bis der Verkäufer – noch immer ohne erkennbares Mienenspiel – endlich seine Ware zurücknimmt. Da hat er bereits sein nächstes Opfer erspäht. Und wirklich, bei jenem ist er erfolgreich: Ein Dicker im Kaftan nimmt gleich fünf Tuben. Sorgfältig zählt er die schmierigen, zerrissenen Geldlappen, bevor er sie dem überglücklichen Verkäufer übergibt.

Gleich den hiesigen Gepflogenheiten bleiben mir die sanskritbeschrifteten Ortsschilder unlösbare Rätsel, da ich sie nicht entziffern kann. Sunauli, den Grenzübergang nach Nepal finde ich weder auf meiner Indienkarte noch im Nepal-Reiseführer.

 

24. August 2001, Kathmandu, nachts

Hundegebell. Auf der Terrasse sind nur bunte Topfblumen, der Mond hoch oben und ich, die ich vier Tage nach meinem Abflug aus Hamburg in Nepals Hauptstadt gelandet und natürlich krank geworden bin. In Stunde Sechs der Busfahrt hatte ich endlich gewagt, meinen Rucksack (wer sollte ernsthaft 23 Kilo so mir nichts, dir nichts davontragen wollen?) unbeaufsichtigt zu lassen, und hatte mich in höchster Eile auf die Suche nach einem Klo gemacht. Was ich fand, untertraf meine Erwartungen: Zwar war ich asiatische Toiletten ohne Sitzgelegenheit, die nur aus zwei Fußsteigen bestehen, von anderen Reisen gewohnt, aber dass ich zwischen engen, bespritzten, unverputzten Wänden, in flüssigen Durchfallhaufen und natürlich ohne Wasser zum Spülen klarkommen müsste, hatte ich nicht vorhersehen können. Egal, es half nichts.

Bereits beim Betreten des „Restaurants“ – das man sich besser als eine offene Küche, von der Straße nur durch ein gläsernes Regal getrennt, vorstellen muss – hatte man mir klargemacht, dass ich den argusäugigen Beobachtungen der Umstehenden nicht entkäme. Energisch hatten zwei der Männer mich mit unablässig wiederholtem „Sir, Sir“ in die Männertoilette zu dirigieren versucht. Sieh an, soviel englische Sprachkenntnisse waren also doch drin. Skeptisches Grinsen, gemischt mit einem Anflug Erstaunen, war, was ich erntete, als ich mich beeilte, noch zwei Wasserflaschen einzuheimsen, bevor ich meinen sicheren Platz im Bus wieder erklomm.

Nach 23 Stunden Busfahrt schließlich schien meine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreicht zu haben – ich glaubte mich verloren in den ärmsten Gegenden Indiens, wähnte mich im falschen Bus, fühlte mich verraten, verkauft, mutterseelenallein – und letzteres war ich ja auch. Was eigentlich nutzte es, dass ich für eine Ostdeutsche relativ vernünftig Englisch sprach? Ohnehin hatte ich doch nie wirklich nach Indien gewollt, quäkte es mir trotzig durch den verwirrten Sinn, mein Ziel war doch immer nur Tibet. Nur auf wen sollte ich wütend sein? Auf die chinesischen Beamten in der Hamburger Botschaft, die mich unfreundlich darauf aufmerksam gemacht hatten, dass es keine Möglichkeit gäbe, einfach so in die „chinesische Provinz Tibet“ zu reisen. Vier Wochen Wartezeit, ein negativer AIDS-Test sowie eine gültige Anmeldung zu einer Pauschal-Gruppen-Tour waren die Mindestanforderungen, hatte man mich wissen lassen. Also hatte ich das Schicksal würfeln lassen, und es ließ mich in Indien starten. Hier war ich nun…

Um sieben Uhr morgens nahte unerwartet Rettung: In einem schmutzigen, sieben Häuser zählenden Kaff stiegen plötzlich vier Europäer ein. Wie ein hungriger Wolf stürzte ich zwei Bänke vorwärts, kaum konnte ich abwarten, ihre, auf spanisch geführte Unterhaltung zu unterbrechen. Glück gehabt: Sie wollten ebenfalls zur Grenze und wie ich hatten sie öffentliche Verkehrsmittel derart über, dass sie sich schnell einverstanden erklärten, gemeinsam nach Alternativen zu suchen, wenn wir erst in Sunauli ankämen.

Dort hatten wir uns nach weiteren eineinhalb Fahrtstunden mit steifen Knochen aus dem Bus geschleppt und uns mit der Tatsache konfrontiert gesehen, dass der Grenzort geteilt und die Visum-Stelle der Nepalesen noch sieben Kilometer entfernt war.

Solche Hindernisse kamen mir nach den vergangenen Stunden vor wie Kleinigkeiten: belebt einzig von der Freude, nicht allein Weiterreisen zu müssen, trieb ich denn auch den barfüßigen Rikschafahrer, der mich für zehn Rupien zum Grenzposten brachte, unnötig schroff an, die anderen beiden quietschenden Gefährte – beladen mit riesigen Rucksäcken und jeweils zwei Spaniern – ja nicht aus den Augen zu lassen. Völlig übertriebene Eile, denn um zu dem Posten zu gelangen, an dem sie ihre Visum kaufen konnten, mussten meine neuen Begleiter auf wackligen Ziegeln balancieren oder circa zehn Meter durch knöcheltiefes Wasser waten, ich holte sie also schnell wieder ein.

„Welcome to Nepal! Your first time? Ein Stempel, ein Winken, das wars. Überall lungerten Menschen, Hunde, Würmer, Kakerlaken herum. Erschöpft bestellte ich irgend etwas zu essen, von dem ich nicht hätte sagen können, ob es eher einem Eiergericht oder gehacktem Fleisch ähnelte. Nach ein paar Bissen gab ich meinen bröselnden Keksreste den Vorzug. Während ich uns Tee besorgte, verhandelten die beiden Spanierinnen mit erstaunlicher Raffinesse mit einigen der umstehenden Nepali. Dann saßen wir auch schon in einem Jeep, der uns direkt nach Kathmandu bringen würde. Angeblich würde die Fahrt fünf bis sechs Stunden dauern, allerdings hatte ich beschlossen, Zeitangaben erst wieder ernst zu nehmen, wenn sie sich einmal bewahrheitet hätten.

In dem Tee, den uns die Frauen bei unserer einzigen Pause in einer Berghütte lachend servieren, vermute ich mindestens fünf gehäufte Löffel Zucker. Und auch sonst wartete Nepal mit seiner süßesten Seite auf: sonnige Täler, der Himalaya in seiner vielfältigen Schönheit und das bequeme Schaukeln des Jeeps. Der Himalaya, faszinierend vielfältig und farbenfroh, legt an den grünweichen Stellen seine Gebirgshaut in Falten wie ein schlafender Bernhardiner.

26. August, Kathmandu

Zum Frühstück gibt es Gingerpulver in schwarzen Tee gebröselt. Langsam erholt mein malträtierter Körper sich von den Nächten, die ich größtenteils auf der Hoteltoilette zubrachte. Noch vor kurzem, bei meiner Abschiedsfeier hatte ich Scherze über meine mangelhafte Reise- und Gesundheitsvorsorge gemacht. Einige meiner Freunde waren regelrecht entsetzt gewesen, als sie hörten, dass ich keinerlei Impfungen vorzuweisen hatte. Eine Freundin, die Indien vor zwanzig Jahren bereist hatte, schwört auf Ingwer als Allheilmittel. Da mir nichts Besseres einfällt, höre ich auf diesen Rat. Von der Übelkeit einmal abgesehen, genieße ich es, auf der sonnenüberfluteten Terrasse meine Ruhe zu haben. Auf zwölf Postkarten schreibe ich, nur, um mir selbst zu beweisen, dass ich wirklich gelandet bin, immer das Gleiche: das Datum und dass ich nach 48-stündiger Reise wahrhaftig in Nepals Hauptstadt sitze. Woher meine Vergiftung rührt, weiß ich nicht, aber der Geschmack von fauligen Eiern, den ich bis in den letzten Winkel meines Innenlebens mit mir herumtrage, ist wenig appetitlich. Letztendlich musste ich sogar auf Schokolade und Cola verzichten, da auch das nicht helfen und bei mir bleiben will. Beruhigend ist, dass ich bis zur gebuchten Tibet-Reise noch ausreichend Zeit habe, mich auszukurieren.

Den lästigen Europäer-Gebrechen zum Trotz versuchte ich, Kathmandu zu entdecken, begab mich mit einem sehr netten Rikscha-Driver nach Swayambhunath, zur größten Stupa Nepals. Aus Sparsamkeitsgründen auf ein Auto zu verzichten, stellte sich rasch als Fehler heraus. Da es oft steil bergan ging, versagte sowohl die rostige Kette als auch die Muskelkraft meines Radtaxis. So blieb mir nichts anderes übrig, als neben dem Gefährt zu Fuß zu gehen. Schön, dass die Einheimischen sich an solchen Kleinigkeiten erfreuen können, ihr Spott folgte mir unverhohlen, aber nicht gehässig. Wahrscheinlich hielten sie mich für eine ziemlich dämliche Touristin, die ihr Geld für einen Spaziergang neben einem schwatzhaften Rikschafahrer im buntbedruckten T-Shirt auf die Straße wirft.

Wenn wir jedoch fuhren, war es sehr angenehm. Golpo, der Fahrer hatte einen schwarzen, löchrigen Schirm aufgespannt, die Kette quietschte beruhigend im Rhythmus seiner Tritte, er erzählte von den 24 Jahren, die er schon als Fahrradtaxifahrer in Kathmandu arbeitet, von seinen vier Söhnen, einer Tochter, seiner Frau, von Touristen, Friends, wie er sagte und davon, dass es seit einiger Zeit nicht mehr so gut laufe mit dem „Business“ in Nepal.

 

Fortsetzung folgt hier: https://gueldenlights.com/2022/03/17/swayambhunath/

Journalistin, Fotografin, Hundeteamleiterin

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